0010 - Der endlose Tod
geöffnet, Miß Koch, ein Beweis, daß wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Die Elektroschocks haben ihm sichtlich gutgetan. Er wird morgen erneut welche bekommen, und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn er danach nicht wenigstens für kurze Zeit wieder zu sich käme.«
***
Sie hatten Southampton unverzüglich verlassen. Jetzt rollte der Bentley eine schmale, gewundene Straße entlang. Die Scheinwerfer bohrten sich aggressiv in die schwarze Dunkelheit der Nacht. Dichter Mischwald zu beiden Seiten der Straße. Finster und unheimlich. John hatte sich eine Spezialkarte von diesem Gebiet besorgt. Es gab zwei Möglichkeiten, die angekreuzte Stelle zu erreichen: entweder durch den Wald – das ging aber nur ohne Auto –, oder er nahm einen kleinen Umweg in Kauf und fuhr von Norden über einen Güterweg, der bis auf einige hundert Meter an den Hort des Grauens heranführte. John rechnete damit, daß er seine Kräfte noch in dieser Nacht anderweitig einsetzen mußte, deshalb wollte er sich nicht bei einem langen nächtlichen Fußmarsch durch den Wald verausgaben. Aus diesem Grund hatte er sich für Variante B entschieden.
Aber da machte ihm Curro einen dicken Strich durch die Rechnung.
Der Dämon demonstrierte mal wieder seine Stärke. Schnurrend fuhr der Bentley dahin, doch plötzlich fing der Motor an, verrückt zu spielen. Er hustete, arbeitete nicht mehr rund, ruckte, nahm kein Gas mehr an, wurde langsamer, starb schließlich mit einem letzten ohrenbetäubenden Rattern ab.
Suko fluchte unfein.
»Mitten in der Nacht!« blaffte er ungehalten. »Mitten auf der Strecke!«
Kaum stand der Wagen, da riß der Chinese die Stablampe aus dem Handschuhfach und stieg schimpfend aus. Er klappte die Motorhaube hoch und beugte sich über die Maschine, kontrollierte die Zündkabel, rüttelte am Vergasertopf, tastete nach dem Gasseil.
»Verstehe ich nicht!« maulte er verdrossen. »Es scheint alles in Ordnung zu sein.«
John stieg aus und zündete sich eine Camel an. »Es ist alles in Ordnung«, behauptete er.
Suko leuchtete ihm ins Gesicht. »Dann erklär mir doch bitte mal, wieso die Mühle plötzlich streikt.«
»Ich bin sicher, daß Curro uns mal wieder ärgern möchte.«
»Was ihm auch auf Anhieb hervorragend gelungen ist«, brummte der Chinese verstimmt. »Was machen wir jetzt?«
John holte die Spezialkarte. Er winkte Suko zu sich, klappte die Motorhaube zu und breitete die Karte darauf aus. »Wir befinden uns etwa hier«, sagte er. Sein Finger zeigte auf einen Waldweg. »Wenn wir den Wald in östlicher Richtung durchqueren, stoßen wir direkt auf den Hort des Bösen.«
»In der Nacht durch den Wald?«
»Du hast doch nicht etwa Angst?« fragte John Sinclair mit einem süffisanten Grinsen.
»Das nicht, aber man sieht ja kaum die Hand vor den Augen. Wenn wir den Wald durchqueren, müssen wir eine Beule nach der anderen einstecken.«
John hob die Schultern und meinte lächelnd. »Das müssen wir in Kauf nehmen. Komm. Hilf mir, den Bentley von der Fahrbahn runterzuschieben.«
Suko legte sich mit seinem ganzen Ärger ins Zeug. Der Bentley rollte auf das Straßenbankett. John zog die Handbremse. Er kurbelte gerade die Seitenscheibe hoch, als Suko hinter dem Wagen plötzlich einen markerschütternden, gurgelnden Schrei ausstieß…
***
Dr. Slazenger überprüfte die Reflexe Hannibal Kochs, nickte Susan anschließend zuversichtlich zu und verließ das Krankenzimmer. Das Mädchen legte sein blasses Gesicht in die unruhigen Hände und seufzte geplagt. Sie versuchte, für ihren Vater zu beten, aber sie bekam die richtigen Worte nicht zusammen. In den letzten Stunden hatte sie so viel geweint, daß keine Tränen mehr in ihren Augen waren. Sie erinnerte sich an John Sinclairs Worte. Der Oberinspektor war der Meinung gewesen, daß kein Arzt etwas für ihren Vater tun konnte. Er mußte sich irren. Immerhin hatte Dr. Slazenger erreicht, daß sein Patient vorübergehend die Augen öffnete. Ein lächerlich geringer Erfolg, gewiß. Aber doch ein Erfolg. Und morgen, vielleicht würde Dad auf die nächsten E-Schocks noch positiver reagieren.
Susan ließ die Hände matt sinken.
Da übersprang ihr Herz mit einemmal einen Schlag. Ihr Vater hatte den Kopf gewandt. Er sah sie zum erstenmal wieder an. Und er schien bei vollem Bewußtsein zu sein. Sein Blick hatte nichts Starres mehr an sich. Koch schien seine Tochter erkannt zu haben. Gott, war die lange Ohnmacht endlich besiegt?
»Vater!« rief Susan glücklich aus.
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