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0011 - Der Irre mit der Teufelsgeige

0011 - Der Irre mit der Teufelsgeige

Titel: 0011 - Der Irre mit der Teufelsgeige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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schauten die noch kahlen Zweige der Laubbäume wie lange, gebogene Finger hervor.
    Nicht einmal ein Ortsschild gab es. Orlington schien wirklich am Ende der Welt zu liegen.
    Der Asphalt der Straße hatte schon wenige Meilen vor dem Ort einem besseren Feldweg weichen müssen. Bei Regen kam man hier bestimmt nur mit dem Trecker oder einem Range Rover weiter. Ein normaler Wagen würde seine Schwierigkeiten haben, sich durch den schlammigen Boden zu wühlen.
    Orlington wirkte wie eine Geisterstadt. Leer, verlassen. Kein Mensch auf der Straße. Die Fahrbahn verlief schnurgerade bis zum Ortsende, wo die Schatten der Dämmerung die Konturen zerfließen ließen.
    Und hier in der Nähe sollte ein berühmter Geiger wohnen? Kaum vorstellbar.
    Frank Scott hatte sich den Umständen entsprechend gut benommen. Nicht einen Fluchtversuch wagte er. Er hatte sich sogar kompromissbereit gezeigt und mir den genauen Weg erklärt.
    Ich lenkte den Wagen an den Rand der Fahrbahn und stoppte. Neben mir atmete Frank Scott befreit auf. »Wir haben es geschafft«, sagte er. »Sie haben sich bis an das eigene Grab kutschiert, Bulle.«
    »Abwarten«, erwiderte ich einsilbig. »Steigen Sie aus.«
    Er öffnete die Tür und schwang sich ins Freie. Erst jetzt bemerkte ich, wo ich den Bentley abgestellt hatte. Genau neben einem Friedhof. Die dunkle Steinmauer war höchstens ein Yard von der Fahrertür entfernt.
    Ich stieg ebenfalls aus. Was mir sofort auffiel, war die Stille. Hier schien selbst die Natur den Atem anzuhalten. Ich sah auch nirgends Licht oder streunende Hunde.
    Ich war groß genug, um über die Friedhofsmauer schauen zu können. Hinten, am anderen Ende des Totenackers, sah ich einen Mann. Soviel ich erkennen konnte, machte er sich an einem Grab zu schaffen. Wenigstens ein Einwohner. Ich beschloss, mit dem Alten zu reden.
    Frank Scott schaute mich grinsend an. »Bin Ihnen wohl Ballast, wie?« höhnte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Sie haben Ihre Pflicht getan. Den Weg zum Landhaus werde ich wohl allein finden. Bestellen Sie Ihrem Professor einen schönen Gruß.«
    »Ich bleibe bei Ihnen«, erwiderte Scott und rieb sich die Hände. »Ich möchte sehen, wie Sie krepieren.«
    Plötzlich unterbrach der Schrei eines Käuzchens die Stille. Scott lachte. »Hören Sie? Der Totenvogel ruft. Dreimal. Er kündigt eine neue Leiche an. Nämlich Sie.«
    »Hören Sie endlich auf mit dem Quatsch!« herrschte ich den ehemaligen Journalisten an. »Ihr Gerede geht mir langsam auf den Nerv. Sie können mir keine Angst damit einjagen. Merken Sie sich das endlich!«
    Ich ließ den Kerl stehen, ging an der Friedhofsmauer entlang und suchte das Eingangstor. Es war gar keins vorhanden. Ein Stück Mauer fehlte, war einfach ausgespart. Das war der Eingang. Praktisch.
    Es war ein uralter, ungepflegter Totenacker. Es gab keine Wege oder Pfade. Wahllos lagen die Gräber aneinander. Die meisten Grabsteine standen schräg, waren in das Erdreich gekippt, das unter ihnen nachgegeben hatte. Kreuze oder andere christliche Symbole sah ich auch nicht. Viele Gräber waren eingesunken.
    Hier und da lag verwelktes Laub, das vom Wind raschelnd bewegt wurde und über den Gräbern kreiselte.
    Der ganze Friedhof bot eine deprimierende, trostlose Atmosphäre. Er hätte wirklich eine ideale Kulisse für einen Horrorfilm abgegeben.
    Ich ging langsam. Von den Bergen her frischte der Wind auf. Er spielte mit meinem Haar. In der Luft kreisten ein paar Raben. Krächzend ließen sie sich hinter dem Friedhof auf einem leeren Feld nieder.
    Der Alte hörte mich nicht oder wollte mich nicht hören. Zwei Schritte hinter ihm blieb ich stehen, sah an seiner Schulter vorbei und entdeckte die Grube, die er frisch ausgehoben hatte. Ein paar Bretter lagen bereit, mit denen das Grab abgedeckt werden sollte. Anscheinend war jemand im Ort gestorben, und ich hatte den Totengräber vor mir.
    Ich räusperte mich.
    Der Mann arbeitete ungerührt weiter. Er klopfte mit dem Schaufelblatt den Lehmberg auf dem Grab platt.
    Ich tippte ihm auf die Schulter. Der Mann zuckte zusammen, schien dann zu Eis zu erstarren. Unendlich langsam drehte er sich um.
    Im ersten Augenblick erschrak ich. Ein bleiches, hohlwangiges Gesicht. Augen, die tief in den Höhlen lagen. Bartschatten bedeckten das Kinn. Die Haut wirkte wie eine Landkarte. War von unzähligen Falten durchzogen.
    Der Alte trug eine graue Jacke, ein einfaches Hemd ohne Kragen, eine geflickte Hose und durchlöcherte Schuhe.
    Mir fiel es schwer zu lächeln.

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