0012 - Lebendig begraben
und ließ ihn noch schrecklicher aussehen.
Die anderen Menschen hatten einen Halbkreis gebildet. Ihre Blicke klebten an Professor Zarcadi, der die Geige zwischen Kinn und linke Schulter gepreßt hatte und mit dem Bogen über die Saiten strich.
Er entlockte dem teuflischen Instrument die gräßlichsten Töne. Dämonische Musik, die über den Totenacker schwebte und die Leichen aus ihren Gräbern holen sollte. Das Gewehr hatte ich im Gasthaus liegenlassen. Ich trug nur die beiden Pistolen und den Silberdolch bei mir. Die Beretta nahm ich in die rechte Hand. Den Rosenkranz, den mir Monja gegeben hatte, hängte ich mir um den Hals. Meine Blicke irrten von den Versammelten ab, glitten über die eingefallenen Gräber mit den umgestürzten Grabsteinen. Dicht neben einem solchen Grab sah ich Suko, Jane Collins und Bill Conolly stehen.
Meine drei Freunde starrten Zarcadi an, als würde von ihm und seiner Melodie ihre Seligkeit abhängen.
»Bald ist es soweit«, flüsterte Monja neben mir. »Dann werden sich die Gräber öffnen…«
Ich hielt den Atem an. Monja hatte mit ihrer Prophezeiung recht. Auf dem Grab, neben dem meine drei Freunde standen, bewegte sich die Erde. Suko, Jane und Bill bemerkten davon nichts. Ich wollte sie warnen, doch in meiner Kehle steckte plötzlich ein dicker Kloß.
Wie gebannt starrte ich auf das Grab. Der Mond schien sein Licht jetzt nur noch auf dieses eine Grab zu konzentrieren, Deutlich sah ich die Finger einer Hand, wie sie sich aus dem Erdreich wühlten und sich anklagend in die Höhe streckten.
Die Hand gehörte einem Skelett!
Scharf sog ich den Atem ein.
Mein Entschluß stand fest. Ich mußte eingreifen. Mit einem Satz flankte ich über die Mauer…
Weich landete ich auf der lehmigen nassen Friedhofserde. Ich befand mich hinter Zarcadis Rücken. Er konnte mich nicht sehen. Noch immer fuhr der Bogen über die Saiten. Wilder, ungezügelter als vorher.
Zarcadi stand dicht vor seinem Triumph. Aber nur dicht.
Die Hand hatte sich jetzt bis zum Gelenk hin aus der feuchten Erde geschoben. Die Finger bewegten sich, wurden zur Faust, die drohend auf die Menschen wies. Alles setzte ich auf eine Karte. Ich riß die Beretta herum, zielte und schoß zweimal. Meine geweihten Kugeln zerfetzten die Knochenhand. Die Schußdetonationen übertönten sogar die Musik. Von einem Augenblick zum anderen brach das Spiel ab. Zarcadi hatte bemerkt, was los war. Da stand ich jedoch schon vor ihm und ließ ihn in die Mündung der Beretta blicken.
»Sinclair!« heulte er voller Wut.
»Ja«, knirschte ich. »Ich bin es!« Wir starrten uns in die Augen. Zarcadi und ich. Zwei Todfeinde!
Plötzlich begann Zarcadi zu lachen.
»Du hast es also geschafft«, sagte er. »Ich gratuliere dir. Noch nie ist jemand aus meiner Welt entkommen. Das heißt jedoch noch lange nicht, daß du auch hier gewonnen hast. Mit deinen Kugeln erschreckst du mich nicht. Du weißt, daß ich mächtiger bin.«
»Stimmt«, erwiderte ich und hatte dabei Mühe, meine Stimme unter Kontrolle zu halten.
»Dich kann ich mit einer Silberkugel nicht besiegen, aber deine verdammte Teufelsgeige!«
Ich hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, als ich auch schon abdrückte. Ich jagte drei geweihte Kugeln in die Geige und begleitete jeden Schuß mit einem Schrei. Und ich hatte Erfolg.
Die nächsten Szenen sah ich wie in einem Zeitlupenfilm. Die Geige flog auseinander, als wäre eine Bombe in ihr explodiert. Professor Zarcadi wich zurück. Sein Gesicht zeigte einen entsetzten Ausdruck. Die Saiten und die einzelnen Geigenteile standen in Flammen. Wie glühende Kohlenstücke zischten sie durch die Luft, fielen zu Boden und erloschen. Zarcadi aber schleuderte mir einen gräßlichen Fluch entgegen. Aber das war nicht mehr er selbst. Die skelettierte Fratze des Schwarzen Tods starrte mich an. Weiß leuchteten die Augen in dem Totenschädel.
Ich stürzte mich auf ihn, jagte noch die letzte Kugel aus dem Magazin, aber es war schon zu spät.
Die Erde tat sich auf, und in einen feurigen, blutroten Schweif gehüllt verschwand der Schwarze Tod vor meinen Augen. Nur seine Drohung hörte ich noch.
»Ich komme wieder, John Sinclair! Ich komme wieder…« Dann war die Stimme verhallt.
Dafür hörte ich Rufe, Schreie, und ich sah Jane Collins. Sie flog auf mich zu, umarmte und küßte mich, daß ich gar nicht wußte, wie mir geschah.
»John!« stammelte sie immer wieder. »John…« In diesen Worten lag alles, was Jane Collins für mich empfand. Aber auch
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