0015 - Der siebenarmige Tod
gelandet ist. Da paßt er nach dem, was er schon alles ausgefressen hat, wunderbar hin. Ich statte ihm gleich mal einen Besuch ab.«
Glenda lächelte. »Er wird sich freuen.«
»Das nehme ich an. Würdest du die Fotos wieder in die Zentralkartei bringen?«
Das schwarzhaarige Mädchen nickte. »Selbstverständlich, John. Das mache ich schon. Weidmanns Heil.«
»Weidmanns Dank«, erwiderte der Oberinspektor und trat auf den Gang hinaus.
***
Der Wind spielte mit einigen Blättern der Times, er blies sie die Gosse entlang, knüllte sie mit seinen unsichtbaren Luftfingern zusammen, entfaltete sie wieder und hob sie an der Fassade eines alten Backsteinhauses hoch. Genau da, wo das Papier gegen eines der Fenster klatschte, wohnte Lee Shapiro. Der Teufelsanbeter – jetzt in Jeans und Rauhlederjacke – goß sich zum viertenmal Scotch ins Glas. Er lief ruhelos im Living-room hin und her. An den Wänden hingen Reproduktionen moderner Meister, die sich mit dem Thema Hölle, Tod und Hexenglauben auseinandergesetzt hatten.
Als die Zeitung über das Fenster fegte, wandte sich Lee Shapiro erschrocken um. Der Scotch in seinem Glas schwappte bis zum Rand hoch. Shapiro trank hastig und wischte sich die feuchten Lippen mit dem Handrücken ab. Verdammt, dieser Sinclair von Scotland Yard, der gefürchtete Geisterjäger, hatte ihm die Maske vom Gesicht gerissen. Nun kam es darauf an, wie gut sich Sinclair Gesichter merken konnte. Es war anzunehmen, daß er darin einige Übung hatte, sonst wäre er mit seinen knapp fünfunddreißig Jahren nicht schon Oberinspektor gewesen. Ein guter Mann, der seinen gefährlichen Job mit Härte und Zuverlässigkeit ausübte. Ein Mann mit jahrelanger Erfahrung im Kampf gegen Geister und Dämonen. Ein Mann auch, dessen Aufklärungsquote bei hundert Prozent lag. Wer Sinclair nicht ernst nahm, der machte einen großen Fehler.
Deshalb war Lee Shapiro ja so sehr nervös.
Der Teufelsanbeter knirschte mit den Zähnen.
Der Alkohol begann zu wirken, senkte Shapiros Reizschwelle, steigerte seinen Zorn und den Haß, den er empfand, wenn er an Sinclair dachte.
Wie lange würde es wohl noch dauern, bis Sinclair hier auftauchte?
Shapiro fragte sich, ob er sich mit Rozzo in Verbindung setzen sollte. Das Oberhaupt der Satanssekte würde gewiß sehr ungehalten darüber sein, daß er, Shapiro, sich von Sinclair hatte demaskieren lassen. Aber, verflucht noch mal, es war so schnell gegangen, daß er es nicht verhindern konnte.
Er ging zum Fenster und blickte auf die Straße hinunter.
»Willst du es wirklich darauf ankommen lassen, daß er dich hier erwischt?« fragte sich Shapiro nachdenklich. »Wäre es nicht besser, beizeiten das Feld zu räumen?« Er redete gegen die Fensterscheibe, in der er sich spiegelte.
Und plötzlich glaubte er zu wissen, was er tun mußte.
Erst mal verschwinden. Die Wohnung hier aufgeben. Umziehen. Vorübergehend in ein Hotel, wo man nicht viele Fragen stellte.
Und dann wollte er sich um Sinclair kümmern. Mit einer Pistole. Rozzo und die Anhänger der Satanssekte würden es ihm gewiß danken, wenn er John Sinclair, diesen gefährlichen Störenfried, aus dem Hinterhalt abknallte.
Er holte einen großen Koffer und packte ihn mit seinen Sachen voll. Den Rest konnte er von einem seiner Freunde abholen lassen. Jetzt noch die Mauser. Shapiro eilte auf die Toilette, stieg auf die Brille und griff in den Spülkasten, in dem er die Waffe, sorgfältig in Nylon verpackt, versteckt hatte.
Er setzte sich im Wohnzimmer auf den Koffer und wickelte die Mauser aus. Sie glänzte ölig. Kein Rostpünktchen war an ihr. Shapiro stieß das Magazin in den Griff und ließ die Waffe anschließend in der Tasche seines Lederjacketts verschwinden.
Acht Kugeln!
Alle für Oberinspektor John Sinclair!
Shapiro erhob sich.
Der Koffer war so schwer, als befänden sich Steine darin. Zum Glück hatte Shapiro es nicht weit bis zu seinem Wagen. Der alte Rover stand direkt vor dem Haus. Bis dorthin mußte er sich mit dem Koffer wohl oder übel abschleppen.
Er nahm die Vorlegekette ab, drehte den Schlüssel nach links, klappte die Tür auf und stieß in derselben Sekunde einen erschrockenen Schrei aus, denn auf dem Fußabstreifer stand – groß, breitschultrig und mit finsterer Miene – ein Mann…
John Sinclair!
***
»Na, Shapiro, wohin soll die Reise gehen?« erkundigte sich der Oberinspektor.
»Sinclair!« stöhnte der Teufelsanbeter. Obgleich ihm von Anfang an klar gewesen war, daß der Oberinspektor
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