002 - Das Henkersschwert
völlig windstill, und der Himmel war strahlend blau. Um kurz vor zehn waren sie an der Klinik.
»Ich habe noch etwas zu erledigen«, sagte Dorian zu Barrett. »Es wird nicht lange dauern. Sollte in der Zwischenzeit Herr Helnwein eintreffen, dann bitten Sie ihn zu warten.«
Der Psychiater stieg aus, und Dorian fuhr an. Er lächelte grimmig.
Jerome Barrett war froh, daß sie in wenigen Stunden Wien verlassen würden. Einige Vorfälle hatten ihm zu denken gegeben, doch auf seine Fragen hatte er nur ausweichende Antworten bekommen, die ihm nicht weiterhalfen. Ihm kam vieles merkwürdig vor, und seine Neugierde war geweckt. Vielleicht war es möglich, während des Fluges genauere Auskünfte von Hunter zu bekommen.
Freundlich nickte er der Krankenschwester zu, als er die Klinik betrat.
»Dr. Burger erwartet Sie in seinem Zimmer«, sagte sie in einem nahezu unverständlichen Englisch.
Barrett ging den Korridor entlang und blieb vor Burgers Tür stehen. Er klopfte kurz an und trat ein. Dr. Burger saß hinter seinem Schreibtisch und stand bei seinem Eintreten auf. Er kam mit ausgestreckter Hand und breit lächelnd auf ihn zu.
Auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch saß eine schwarzhaarige Frau, die den Kopf wandte und ihn anstarrte. Es war dieselbe, die gestern mit Hunter im Frühstücksraum des Hotels gesessen hatte.
Während Barrett dem Arzt die Hand reichte, überlegte er, wieso die Fremde hier war.
»Setzen Sie sich doch, Herr Barrett!« sagte Burger und schob einen Stuhl an den Schreibtisch. »Wo ist Herr Hunter?«
»Er hat noch etwas zu erledigen, doch er wird in wenigen Minuten zurück sein.«
Burger nickte. »Darf ich bekannt machen?« sagte er und deutete auf die schwarzhaarige Frau. »Das ist …«
»Wir kennen uns bereits«, erklärte Coco. »Wie geht es Dorian, Herr Barrett?«
Dem Psychiater fiel wieder die Unruhe auf, die von der Frau ausging. Sie war hochgradig nervös. Nur mühsam konnte sie das Zittern ihrer Hände unterdrücken.
»Soweit ich es beurteilen kann, ganz gut«, antwortete er.
Coco atmete erleichtert auf. Ihre Züge entspannten sich ein wenig.
»Es ist alles zur Abreise vorbereitet«, schaltete sich Dr. Burger ein.
»Der Krankenwagen steht in zehn Minuten bereit.«
»Und wie geht es Mrs. Hunter?«
Dr. Burger hob kurz die Schultern. Sein Gesicht war ernst. »Unverändert, würde ich sagen. Ich habe ihr erzählt, daß sie uns verlassen wird, doch sie reagierte überhaupt nicht darauf. Ich sagte ihr auch, daß sie nach London fliegen würde, aber sie sah mich nur verständnislos an. Ich fürchte, daß sie während des Fluges Schwierigkeiten machen könnte. Haben Sie Beruhigungsmittel bei sich, Herr Barrett?«
»Ja«, erwiderte der Psychiater. »Möglicherweise verabreiche ich ihr ein Schlafmittel.«
»Das wäre vielleicht ratsam.«
Immer wieder schaute Barrett die dunkelhaarige Frau an. Sie hatte jetzt die Hände in den Schoß gelegt. Die Schultern waren vorgesunken, und sie hielt den Kopf gesenkt. Sie atmete ruhig, doch Barrett erkannte, daß sie sich verstellte. Er wurde aus dem Mädchen nicht klug. Gestern hatte sie eine unheimliche Ausstrahlung gehabt, die er geradezu körperlich gespürt hatte. Im Augenblick war sie jedoch nichts anderes als ein Mädchen, das sich vor etwas fürchtete. Wovor sie Angst hatte, konnte er nicht beurteilen, aber von Minute zu Minute wurde sie wieder nervöser. Ihre Hände verkrampften sich, und sie warf bereits zum wiederholten Mal einen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Ich hole Frau Hunter«, sagte Dr. Burger. »Sollte ihr Mann in der Zwischenzeit eintreffen, dann bitten Sie ihn, hier zu warten.«
Er verließ das Zimmer, und Barrett wandte sich dem Mädchen zu.
»In welchem Verhältnis stehen Sie eigentlich zu Dorian Hunter?«
Coco schaute erschrocken auf. »Wir sind alte Bekannte«, brachte sie mühsam hervor.
»Wann haben Sie sich kennengelernt?«
Sie rieb nervös die Handflächen aneinander. »Vor zwei Jahren etwa.«
Sie lügt, dachte Barrett, ließ sich aber nichts anmerken. »Kennen Sie auch seine Frau Lilian?«
Coco schüttelte den Kopf.
»Und was empfinden Sie für Mr. Hunter?« wollte Barrett wissen.
»Das geht Sie nichts an«, fauchte Coco, und ihre Augen blitzten wütend. »Sie fragen zuviel, Mr. Barrett. Lassen Sie mich in Ruhe!«
Barrett lächelte väterlich. »Meine Fragen sind nicht böse gemeint, Miß Zamis. Ich will nur Ihr Bestes.«
Bevor er fortfahren konnte, wurde die Tür geöffnet, und Dorian trat ins Zimmer.
Coco
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