002 - Der Unheimliche vom Todesschloß
Chateau, kamen dem Capitaine die Ängste der kleinen Jacinthe gar nicht mehr so lächerlich vor.
»Ach was!« sagte er halblaut. »Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert. Unmöglich, daß Menschen einfach verschwinden. Alles muß eine plausible Erklärung haben.«
Grübelnd blickte Capitaine Clemence Morel hinüber zu den Fenstern der Burg. Die meisten Glasscheiben waren verschmiert und blind. Kein Wunder, dachte er, daß diese Amerikanerin – Madame Rattigan – die Arbeit nicht bewältigen kann. Sie hat ja keine Hilfe hier. Und dazu noch einen kranken Mann.
Und doch mußte die Lösung des Rätsels in der Burg zu finden sein.
Er entdeckte, als er ein paar Schritte am Graben entlanggeschritten war, eine in das Burgfundament eingelassene Eisentür. Sie war dunkelgrün lackiert und sah ziemlich neu aus.
Der Capitaine ging zurück und stellte sich gegenüber der hochgezogenen Zugbrücke auf. An einem altmodischen Klingelstrang war eine ziselierte Quaste. Er ergriff sie und zog kräftig daran. Ein melodisches Läuten vom Burghof her verriet ihm, daß er sich auf diese Weise den Bewohnern des Chateaus bemerkbar machen konnte.
Er wartete ungeduldig. Seine Furcht um Jacinthe nahm zu. War sie ebenso verschwunden wie Monsieur Colombier? Und auf welche Weise?
Er sah erleichtert, wie sich die Tür des Chateaus öffnete und Madame Rattigan heraustrat.
Sie trug eine schwarze Bluse, eine schwarze Lederhose und hautenge hohe Stiefel. Um die schmale Taille wand sich ein betont breiter, rustikaler Gürtel.
Stumm wartete der Capitaine, bis die Burgherrin ihm auf der anderen Seite des Grabens gegenüberstand.
»Oh, ist das nicht der Capitaine von der Polizei?« Eliza Webster strahlte. »Hallo, Monsieur. Wollen Sie mich besuchen?«
Clemence Morel verneigte sich.
»Ja, Madame. Ich hätte Sie gern gesprochen.«
»Oh, es paßt nicht sehr gut«, sagte die Webster bedauernd. »Mein Mann ist nämlich heute früh in eine Klinik gekommen.«
»Das tut mir leid. Ist er ernstlich krank?«
»Ich fürchte, ein Kreislaufkollaps. Um was handelt es sich, mon Capitaine?«
Unter den grauen Augen der Frau wurde Morel verlegen.
»Ich wüßte gern, Madame, ob die grüne Tür, die dort unten in den ehemaligen Wassergraben führt, in letzter Zeit geöffnet wurde.«
Eliza Webster hob erstaunt die Brauen.
»Welche Tür?«
»Madame, eine Junge Dame aus dem Dorf ist verschwunden. Ich muß annehmen, daß sie sich in Ihrem Chateau befindet.«
»In meinem Chateau hier?« Eliza Webster schien fassungslos. »Aber Capitaine, ich kann Ihnen versichern, daß sie nicht hier ist. Es gibt keine Möglichkeit, vom Graben in das Chateau zu gelangen.«
»Und die grüne Metalltür?«
»Ich weiß von keiner Tür.«
»Sie ist in Höhe des Burgkellers angebracht, Madame.« Er wies nach Süden. »Links von hier, Madame. Diese Tür muß offen sein. Auch ein junger Geologe – er heißt Colombier – verschwand vorgestern nacht, und ich muß annehmen, daß auch er durch diese Tür in die Burg gelangt ist.«
»Mon Capitaine!« rief die schöne Frau unwillig. »Ich möchte mich energisch gegen diese Unterstellung verwahren. Ohne mein Wissen gelangt niemand in das Chateau. Ich habe zwei scharfe Bluthunde. Sie sind abgerichtet und reagieren auf Fremde äußerst empfindlich.«
»Ich habe diese reizenden Tierchen bereits gesehen!« gab der Capitaine bissig zurück. »Madame, ich muß darauf bestehen, diese Eisentür zu untersuchen. Würden Sie mir bitte den Zugang zum Chateau gestatten?«
Eliza Webster machte ein beleidigtes Gesicht.
»Es tut mir leid, Capitaine. Haben Sie einen Haussuchungsbefehl?«
»Noch nicht, aber ich kann ihn sofort in Montelimar holen.«
»Tun Sie das, Capitaine. Sie müssen mich verstehen: Ich mußte meinem Mann hoch und heilig versprechen, daß ich ohne triftigen Grund keine Fremden in unser Chateau lasse.«
»Ich finde den Grund sehr triftig«, sagte der Capitaine ärgerlich. »Zwei Menschen sind spurlos verschwunden. Sie wollen mir also nicht helfen, sie wiederzufinden?«
»Es tut mir leid. Ohne Haussuchungsbefehl – nein.«
»Sie sind wenig hilfsbereit, Madame. Wie soll ich Ihre Haltung verstehen?«
»Verstehen Sie es, wie Sie wollen. Bei uns gibt es ein Sprichwort. My home is my Castle! Mein Heim ist meine Burg! Und in dieses Heim lasse ich niemand herein, es sei denn, man würde mich zwingen.«
»Ich verstehe, Madame. Ich fahre dann sofort nach Montelimar und hole mir den
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