002 - Der Unheimliche vom Todesschloß
Durchsuchungsbefehl. Sie könnten auch, falls Sie Telefonanschluß haben, mit meinem Vorgesetzten sprechen.«
»Ich würde den Haussuchungsbefehl gern schriftlich haben, Monsieur.«
Der Capitaine maß mit den Augen die Entfernung ab. Er war ein guter Sportler und würde es vielleicht mit einem Sprung bis drüben schaffen.
Aber falls nicht?
Dann würde er – wie Jacinthe – in den Graben stürzen. Und sich dabei vielleicht den Hals brechen. Nein, er konnte den Vermißten besser helfen, wenn er den Haussuchungsbefehl holte und Verstärkung mitbrachte. Es tat ihm in der Seele weh, fortzufahren und Jacinthe im Stich zu lassen, aber die Vernunft gebot, vorsichtig zu sein.
Er verneigte sich ein wenig spöttisch. »Voila – ich bin in wenigen Stunden wieder hier, Madame.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es kurz vor elf Uhr. Gegen vierzehn Uhr werde ich zurück sein.«
»Wenn Sie mir den Haussuchungsbefehl bringen, Monsieur, werde ich Sie als lieben Gast ins Innere des Chateaus lassen«, lächelte die Webster. Sieschenkte dem Capitaine einen glühenden Blick. Clemence Morel drehte sich um und entfernte sich schnell.
Eliza Webster sah ihm nach, dann pfiff sie. Die Bluthunde stürmten heran. Eliza trat zur Seite. Im eleganten Sprung setzten die Hunde über den Graben und landeten dicht neben Eliza auf dem Pflaster des Burghofes.
»Kommt«, sagte sie, »ich habe etwas zu fressen für euch.«
Daß sie die treuen Wärter des Chateaus nicht mehr brauchte und längst das Todesurteil über sie gesprochen hatte, spürten die beiden Hunde nicht.
***
Sie schwang die Peitsche.
»Schau doch in den Spiegel – los, betrachte deine Häßlichkeit!« Eliza Webster bog den weißen Hals zurück und lachte. »Du hast Rattigan erhängt und mir den Anblick seiner schäbigen Leiche nicht erspart. Dafür mußt du büßen, Gautier.«
»Ja, Madame… Ja, Madame…«, wimmerte Gautier.
»Weiter. Schau doch in den nächsten Spiegel! Siehst du die gräßliche Fratze? Sie gehört dir, Gautier, dir! Soll ich Madeleine zeigen, wie du aussiehst? Deiner herrlichen, angebeteten Madeleine?« Von neuem lachte sie wild.
»Nein, Madame«, rief Gautier.
Plötzlich verlor die Webster die Lust an Gautiers Züchtigung. Wie oft hatte sie ihn schon von Spiegel zu Spiegel getrieben? Es langweilte sie plötzlich.
Sie fuhr zu ihm herum und stieß mit der Stiefelspitze nach ihm. »Bring sie um. Bring dieses dumme Gänschen aus La Chenille um, hörst du?«
Angewidert wandte sich die Webster ab. Sie würde den Tag segnen, an dem sie diese Fratze nicht mehr zu sehen brauchte.
»Beeile dich. Ich habe noch im Labor zu tun.«
Sie ließ ihn zurück in der Helligkeit des Spiegelsaals. Er rutschte ihr auf dem Boden nach, die Kapuze über seinen Kopf gelegt. Er haßte die Spiegel, die niemals logen, die ihm ohne Gnade seine Häßlichkeit bewußt werden ließen.
Gautier richtete sich auf, als er den Spiegelsaal verlassen hatte. Geduckt huschte er durch die Gänge. Spinnweben legten sich über sein Gesicht. Er wischte sie weg.
Madame hatte nicht gesagt, wie er das Mädchen töten sollte. Vielleicht wollte sie es präparieren? Vielleicht wollte sie es nur sterben lassen, um es zum Schweigen zu bringen?
Er suchte einen der hinteren Räume der Burg auf, der früher als Vorratskammer gedient hatte und hinter der großen, von Unrat übersäten Küche lag. Wie gut, daß Madame nie hierherkam. Sicher würde sie schimpfen, wenn sie den Dreck sah.
Gautier öffnete das Vorhängeschloß der Tür und schob sie langsam auf.
Im Dämmerzustand hatte Jacinthe die Zeit verbracht, seitdem der Häßliche sie aus dem Graben geholt hatte. Bebend hob sie den Kopf und sah den Unheimlichen an.
Gautier starrte auf sie nieder. Er gab sich keine Mühe, sein gräßliches Gesicht vor dem Mädchen zu verbergen.
Bald würde sie tot sein.
Er streckte die Hände aus. Jacinthes Blick fiel auf die furchterregenden langen Finger.
Erschöpft schloß sie die Augen. Keiner hatte ihr geglaubt, daß es so ein Monster gab. Und doch stimmte es. Sie war in der Gewalt dieses unheimlichen Mannes.
Wie war er so geworden? Was hatte er für ein Schicksal hinter sich?
»Sehen Sie mich an«, grollte er mit dem zahnlosen Mund. »Empfinden Sie Abscheu und Ekel vor mir, ja?«
Ein Instinkt warnte Jacinthe.
»Nein, Monsieur. Nur Mitleid und den Wunsch, Ihnen zu helfen.«
»Sie lügen.«
»Nein, Monsieur. Auch Sie sind ein Geschöpf Gottes. Sie müssen eine böse Vergangenheit
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