002 - Die Angst erwacht im Todesschloss
Herzen.
Während er auf die Verbindung wartete, arbeitete sein Hirn wie das
Räderwerk einer Maschine. Er hoffte, dass er Lady Shalling keine unangenehme
Nachricht überbringen musste. Wenn Ellen im Schloss gewesen war, musste sie auf
etwas gestoßen sein, was sie veranlasste, diese Nachricht zu schreiben. An
einem zweifelte Hafther nicht: Ellen Shalling wusste etwas!
Sie hatte ihr Wissen aber nicht so weitergeben können, wie es notwendig
gewesen wäre, damit man sich ein klares Bild machen konnte. Befand sich die
junge Frau wirklich in tödlicher Gefahr? Lebte sie überhaupt noch? Waren die
Blutspuren und die mit Blut geschriebene Nachricht von ihr?
In Hafthers Gehirn entstand ein detaillierter Plan, wie er vorgehen wollte.
Es kam jetzt nur noch darauf an, wie das Gespräch mit dem Duke ausfiel.
Der Chiefinspektor strich sich nervös sein dunkelblondes Lippenbärtchen
zurecht. Er konnte es kaum erwarten, nach dem Hörer zu greifen, und saß wie auf
heißen Kohlen ...
Da, endlich! Das Telefon läutete.
Er meldete sich. Die Verbindung zum Duke of Huntingdon. Der Diener John
rief seinen Herrn an den Apparat. Hafther erkundigte sich nach Ellen Shalling
und Harry Banning. »Sie waren Gast in Ihrem Schloss«, endete er. »Daran gibt es
keinen Zweifel. Es ist für uns nun wichtig zu erfahren, ob die Herrschaften
abgereist sind oder ob sie noch immer Ihre Gäste sind. Darüber erwarten wir von
Ihnen eine Auskunft ...«
Die Stimme des Duke klang ruhig, als er antwortete. Hafther lauschte auf
jedes einzelne Wort. Er presste den Hörer instinktiv fester an das Ohr, als er
es normalerweise zu tun pflegte.
»Ellen Shalling, meine Nichte, und ihr Verlobter, Harry Banning, Sir, sind
gestern Abend nach dem Supper – abgereist ...«
●
Es gab in der Stimme des Duke keinen Hinweis darauf, dass er in diesem
Augenblick seinen Gesprächspartner anlog. Die Stimme klang fest und sicher, und
der Duke schien tatsächlich von dem überzeugt, was er sagte. Hafther stellte
noch einige scheinbar unwichtige Fragen, die der Duke ebenfalls ruhig und
besonnen beantwortete.
Dann bedankte sich der Yard-Beamte und legte auf. Seine Stirn war in
nachdenkliche Falten gelegt.
Wenn er es genau nahm, stimmte nach diesem Gespräch überhaupt nichts mehr.
Er entschloss sich, dem wichtigsten Indiz Glauben zu schenken – dem Amulett.
Irgendetwas war daran merkwürdig. Der 23. Oktober schien ein bemerkenswertes
Datum zu sein. Ellen Shalling hatte es nicht umsonst auf ihrer Nachricht
vermerkt. Ob es wirklich ihre Schrift war, stand allerdings ebenfalls noch in
Frage. Doch das ließ sich schnell ändern. Er hatte die Absicht, zu Lady
Shalling zu fahren. Ein persönliches Gespräch würde jetzt unter den gegebenen
Umständen sowieso nicht mehr zu umgehen sein. Er musste ihr auch mitteilen,
dass Ellen höchstwahrscheinlich etwas zugestoßen war. Dann musste wieder mal –
wie in der Vergangenheit schon oft – das Schloss des Duke durchsucht werden.
Aber wie diese Durchsuchungen ausgingen, das wurde hier schon im Yard
persifliert.
In den zurückliegenden Jahren nach den rätselhaften zehn Todesfällen, die
ganz England beschäftigten, war das Schloss immer wieder aufgesucht worden.
Direkt nach diesen Ereignissen hatte man das Anwesen durchsucht – doch
vergebens. Nichts war aufgeklärt worden ...
Hafther drückte die Sprechtaste und bat darum, dass man Inspektor Diggins
zu ihm schicke. Diggins war einer der fähigsten Beamten in seinem Ressort.
Im Hirn des Chiefinspektors arbeitete es.
Er hatte mit dem Fall Todesschloss bisher
wenig Erfolg gehabt, und er zweifelte auch nicht daran, dass es weiterhin so
bleiben würde. Er hatte es mit einem übermächtigen Gegner zu tun. In manchen
Teilen des Landes glaubte man sogar fest daran, dass dieses rätselhafte
Todesschloss verhext war, dass es darin spukte ... Das jedoch fand bei Hafther,
dem Mann mit dem harten, energischen Kinn und dem geschliffenen Verstand,
keinen Anklang.
Er war bereit, diesmal alles einzusetzen.
Als einer der wenigen führenden Köpfe innerhalb von Scotland Yard wusste er
von der Existenz der PSA, einer geheimen Sonderabteilung, deren Hauptquartier
in New York war. Die PSA bearbeitete Sonderfälle, an denen sich die normalen
Polizeiinstitutionen die Zähne ausbissen. Seit einiger Zeit gab es auch für
Scotland Yard ein ungeschriebenes Gesetz. Alle Unterlagen über jeden Fall, der
in diesem großen Haus bearbeitet wurde, gingen zur Datenspeicherung an die PSA.
Hafther
Weitere Kostenlose Bücher