0020 - Der Mord, der mir den Atem nahm
widerwillig:
»Gestern nachmittag.«
»Um wieviel Uhr?«
»Kurz vor sechs.«
»Später nicht mehr?«
»Nein. Er soll zwar gegen halb neun noch einmal in der Fabrik gewesen sein, wie mir der Pförtner berichtete, aber zu dieser Zeit hatte ich natürlich längst Feierabend gemacht.«
»Er war gestern abend gegen halb neun noch in der Firma?«
»Ja, der Pförtner sagt es.«
»Ist das nicht eine sehr ungewöhnliche Zeit?«
»Sicher ist sie ungewöhnlich. Ich kann mich nicht erinnern, den Boß früher jemals abends um halb neun in der Fabrik gesehen zu haben.«
»Was kann er gewollt haben? Haben Sie eine Ahnung?«
Er wiegte den Kopf und runzelte die Stirn.
»Sie müssen mir die Wahrheit sagen, Rando!« mahnte ich ernst. »Die Sache, um die es geht, ist verdammt keine Spielerei!«
»Na ja«, gab er schließlich zu. »Als ich um sechs mit ihm sprach, handelte es sich um einen unserer Buchhalter. Einen Mister Bronnings. Der Mann ist seit fast zwanzig Jahren hier in der Firma. Und gestern nachmittag kommt der Chef zufällig dahinter, daß Bronnings in den letzten zwei Jahren immer wieder Geld unterschlagen haben muß. Sie können sich vorstellen, wie aufgeregt Haters war. Er wußte um sechs noch nichts Genaues, aber es schien sich um einen Betrag zu handeln, der über fünfzigtausend Dollar hinausging.«
»Und Sie glauben, daß Haters aus diesem Grunde gestern abend um halb neun noch einmal in der Firma war?«
»Ja, denn Bronnings habe die Firma gestern abend erst gegen halb zehn verlassen, sagte mir der Pförtner.«
»Wo kann ich über diese Unterschlagungsgeschichte Genaueres erfahren?«
»Bei der County Bank, über diese Bank laufen nämlich alle unsere Zahlungen. Aber ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn Sie sich um die Sache kümmern…«
»Warum sollte es nicht richtig sein?«
»Ich glaube, Haters wollte von einer Anzeige absehen, weil der Mann schon fast zwanzig Jahre lang für die Firma gearbeitet hat. Und früher hatte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Bronnings wird noch gute zwanzig Jahre arbeiten können, wenn er gesund bleibt. Der Boß wollte ihm seinen nicht unerheblichen Lohn kürzen, um den veruntreuten Betrag im Laufe der Jahre wieder hereinzubekommen, wenigstens zu einem Teil.«
»Sagte Haters, daß er von einer Anzeige Abstand nehmen wollte?«
»Er sagte es nicht direkt, aber ich entnahm es seinen Andeutungen.«
»Wußte der Buchhalter selbst auch, daß er nicht mit der Polizei in Berührung kommen würde wegen der unterschlagenen Gelder?«
»Nein. Bronnings rechnete natürlich damit, daß er heute früh angezeigt würde. Der Boß wollte ihm zur Strafe wenigstens diese Angst lassen…«
»Vielleicht hat ihm dieser Entschluß das Leben gekostet. Leute, die eine sehr große Furcht durchstehen müssen, sind manchmal unberechenbar. Vielen Dank, Mister Rando.«
»Bitte. Wollen Sie mir jetzt wenigstens sagen, was die ganze Fragerei für einen Sinn hatte?«
Ich setzte den Hut auf. In der Tür drehte ich mich langsam um. Meine Augen hatten den Prokuristen gepackt und ließen ihn nicht aus dem Blickfeld.
»Gern, Mister Rando«, sagte ich leise. »Mister Haters, also Ihr Boß, wurde heute im Laufe des Vormittags ermordet. Nach dem Täter wird noch gefahndet.«
Der Bleistift in seiner Hand entglitt den schlanken Fingern und fiel mit einem hellen Geräusch auf die Glasplatte des Stahlrohrschreibtisches nieder. Rando war mit einem Schlage blaß geworden. Seine Augen geisterten unstet hin und her.
Ich tippte an die Hutkrempe.
»Gute Nacht, Mister Rando«, sagte ich. »Schlafen Sie gut. — Wenn Sie es können.«
Lautlos glitt die Tür hinter mir ins Schloß.
***
Es war inzwischen Abend geworden, und als ich vor das Pförtnerhäuschen trat, senkte sich die Dämmerung wie ein schweres, düsteres Tuch über die Stadt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein großer, chromblinkender schwarzer Cadillac, während ein Mann in der Livree eines Chauffeurs gerade eine Garagentür öffnete.
Mir kam eine Idee, und ich bummelte über die Straße hinüber.
»‘n Abend«, sagte ich.
Der Chauffeur hatte den Wagen hineingefahren und kam gerade wieder aus der Garage heraus. Er sah mich neugierig an:
»Guten Abend«, erwiderte er. »Suchen Sie jemand?«
Ich nickte:
»Ja. Den Fahrer von Mister Haters.«
»Der bin ich. Was wollen Sie denn von mir?«
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen. Cotton, FBI.« Ich hielt ihm meinen Dienstausweis hin. »Haben Sie Zeit?«
»Für die
Weitere Kostenlose Bücher