0020 - Der Mord, der mir den Atem nahm
fing sie auf. Langsam ließ ich sie ins Gras gleiten.
Aus ihrer Brust quoll es in weichen, warmen Stößen. Ich begriff überhaupt nicht, wie das hatte passieren können.
»Docü« schrie ich mit einer Stimme, die sich überschlug. »Doc!!«
Er war schon bei mir. Er bückte sich. Er untersuchte kurz. Er stand auf und sah mich an.
»Keinen Sinn«, sagte er leise. »Nur noch ein paar Sekunden.«
Ich kniete neben ihr nieder.
Sie schlug die Augen auf. Diese herrlichen, tiefen braunen Augen.
»Oh, Jerry!« hauchte sie. »Er hat dich nicht getroffen, nicht wahr? Er hat dich nicht getroffen?«
Ich brachte keinen Laut über meine Lippen. Ich konnte nur stumm den Kopf schütteln. Sie legte beglückt ihre weichen, fast durchsichtig zarten Hände um meinen Nacken. Ich fühlte, wie ihr Atem mein Gesicht streifte.
»Ich habe dich sehr lieb«, sagte sie stockend. Und dabei trat das erste Blut über ihre plötzlich todblassen Lippen.
Ich streichelte ihr über die Wangen. Mühsam würgte ich hervor:
»Ich auch. Debora. Ich liebe dich auch. Du. Debora. Du.«
Ihre Augen wurden so groß und schön, wie ich nie wieder ein Frauenauge sehen werde. Plötzlich huschte ein Schmerz über ihr Gesicht. Mir schnitt etwas eiskalt durch die Brust.
Ich mußte mein Ohr dicht an ihren Mund legen, damit ich sie verstehen konnte.
Sie brachte es stoßweise hervor, kaum wahrnehmbar, von langen Pausen unterbrochen:
»Jetzt — bin ich — frei — frei für dich — Jerry — und du hast mir — meine — Frei — Freiheit — wiedergeschenkt — du — ich — bin so — so unendlich — glückli —«
Ihr Kopf zuckte. Ein harter Blutsturz schoß jäh aus dem blassen Mund. Dann schob sich ein nebliger Schleier über die schönen Augen:
Ich stand auf und sah mich um.
Phil und Bros hielten den Mörder.
Ich ging hin.
»Jerry!« schrie Phil.
»Nicht, Jerry!« rief Mister High.
»Cotton, sind Sie verrückt!« brüllte George Bros.
Ich war von Sinnen. Ich stürzte mich auf ihn. Aber Phils Faust erschien plötzlich riesengroß vor mir, landete an meinem Kinn, und dann wurde es schwarz um mich her.
***
Nun sind Wochen darüber vergangen. Mein Herz ist wieder still geworden. Aber irgendwo wird bis in alle Ewigkeit eine Narbe bleiben. Und wenn Sie mich fragen, was das ist: Verbrechen, dann kann ich es Ihnen ganz genau erklären: Es ist das Teuflichste, wozu Menschen imstande sein können. Das Verbrechen bringt den Menschen an den Rand der Hölle. Und das Übelste daran ist, daß ihm fast immer unschuldige, gute Menschen zum Opfer fallen.
Wie die vielen, die schon starben.
Wie die vielen, die um ihr Eigentum betrogen wurden.
Wie Debora, die mein Alles gewesen wäre und sterben mußte.
ENDE
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