0020 - Der Mord, der mir den Atem nahm
schroff. »Was wollen Sie von mir?«
»Ich möchte mit Ihnen sprechen, wenn Sie es gestatten. Mein Name ist Haters, William Haters.«
Ich sah ihn an. Es konnte stimmen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Toten war zu erkennen. Nur mochte dieser Mann etwa zehn Jahre jünger sein. Er hatte ein hageres Gesicht, das wesentlich sympathischer wirkte als das seines toten Bruders, dem die Ausschweifungen allzu deutlich anzusehen gewesen waren.
»Okay, kommen Sie mit hinein.«
Wir betraten schweigend meine Wohnung. Ich half ihm aus dem Mantel. Im Wohnzimmer setzten wir uns an den Rauchtisch. Ich servierte Whisky und Zigaretten, dann fragte ich:
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich wurde heute nachmittag gegen sechs Uhr von einem Mister O'Marra aufgesucht. Er bat mich, mit zur Kriminalpolizei zu kommen. Ich meine zur Kriminalabteilung der Stadtpolizei. Dort wurden mir eine Menge Fragen vorgelegt. Danach sagte man mir, daß mein Bruder ermordet worden sei.«
Er sah mich fragend an. Ich nickte: »Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt.«
»Ich hörte, daß Sie sich auch um den Fall kümmern?«
»Ja, ein bißchen. Warum?«
Er lächelte verlegen:
»Mißverstehen Sie mich nicht, Mister Cotton. Es ist nicht etwa so, daß ich kein Vertrauen zur Stadtpolizei hätte. Das ist es nicht. Aber ich glaube, in Ihren Händen ist der Fall besser aufgehoben. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was ich meine.«
»Nein.«
»Ich habe eine Menge über Sie in den Zeitungen gelesen…«
Ich wehrte ab:
»Das will nicht viel besagen. Die Zeitungen übertreiben gern ein bißchen. Ich bin kein Supermann.«
»Das wollte ich auch nicht gesagt haben. Ich habe nur den Eindruck gewonnen, daß Sie nicht immer nach der üblichen Methode Vorgehen. Sie wissen ja selbst, bei der Stadtpolizei wird alles mit einer gewissen Routine erledigt, alles nach einem Schema…«
»In diesem Punkt haben Sie nicht ganz unrecht, Mister Haters. Aber was wollen Sie damit sagen?«
»Die Stadtpolizei sagte mir, daß sie noch völlig im Dunkeln tappe. Ich verstehe das offen gestanden nicht, Mister Cotton.«
Ich beugte mich vor und sah ihm direkt ins Gesicht:
»Wieso? Wissen Sie etwa, wer der Mörder ist?«
Er machte eine Geste mit seinen Händen, die so aussah, als wollte er damit sagen: aber das ist doch ganz klar.
»Gestatten Sie, daß ich ganz offen spreche?« fragte er.
»Sicher. Sonst hätte unsere ganze Unterhaltung ja keinen Zweck.«
Er nickte erleichtert.
»Sehen Sie«, begann er, »mein Bruder hatte eine sehr hübsche junge Frau. Offen gestanden, verstehe ich nicht, wie er überhaupt so ein junges Mädchen bekam. Aber er hat sie doch wie ein Stück Vieh behandelt. Nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich so über meinen Bruder spreche, da er tot ist. Ich habe es ihm selbst oft genug gesagt, als er noch lebte. Aber er ließ sich doch nichts sagen. Was er tat, das war richtig und unantastbar.« Ich stimmte ihm zu:
»Sie sagen mir nichts Neues. Das ist genau die Ansicht, die ich auch von Ihrem Bruder gewonnen habe. Aber kommen wir doch zum Mörder. Der interessiert mich mehr als alles andere.«
»Bitte. Ich wollte andeuten, daß ich fest von der Schuld der jungen Frau überzeugt bin. Es tut mir leid, daß ich das sagen muß. Aber ich wollte Sie bitten, Mister Cotton, Ihre Untersuchungen so zu führen, daß man verstehen kann, warum sie es tat. Mir tut die junge Frau sehr leid. Denn sie hat dieses Schicksal nicht verdient.«
Ich blickte nachdenklich in mein Whiskyglas. Irgend etwas in mir war plötzlich von dem Mißtrauen erfüllt, dieser Mann könnte Debora lieben. Er sprach so warm, so herzlich von ihr.
»Am liebsten wäre es mir, wenn dieser Fall einfach auf sich beruhen bliebe. Aber das geht wohl nicht, das sehe ich ein. Dann möchte ich wenigstens, daß die Frau so gut wie nur eben möglich dabei wegkommt. Sie hat ihre Strafe von vornherein schon dadurch abgebüßt, daß sie zwei Jahre mit ihm verheiratet war. Ich glaube, daß die Feststellungen der Polizei vor Gericht einen großen Wert haben. Vielleicht können Sie vor Gericht geltend machen, wie er sie behandelt hat. Vielleicht wird man sie dann sogar freisprechen? Meinen Sie nicht?«
Ich zuckte die Achseln:
»Vielleicht. Aber ich glaube kaum. Man wird ihr wahrscheinlich mildernde Umstände zubilligen, aber ein Freispruch — ich weiß nicht.«
Er stand auf.
»Bitte, tun Sie alles, was Sie für die Frau tun können, Mister Cotton«, bat er in einer rührenden Art.
»Das verspreche ich Ihnen«,
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