0020 - Der Mord, der mir den Atem nahm
Welt.
»Doch, leider.«
Ich blieb stehen und sah sie an.
»Dieser Fall ist so verzweifelt undurchsichtig, daß uns nur die schonungslose Offenheit weiterbringen kann«, versuchte ich zu erklären.
Plötzlich stand sie auf und kam zu mir. Sie nahm meine Hand und legte sie an ihre Wange. Mir ging es heiß durch meinen Körper.
»Ich habe nur noch Sie«, hauchte sie mit geschlossenen Augen. »Bitte verlassen Sie mich nicht. Ich bin so fürchterlich allein.«
Mir würgte es in der Kehle. Ich konnte nichts sagen.
»Gleich als Sie mein Zimmer betraten, wußte ich, daß Sie anders sind als all die anderen. Ich sah Ihre Augen, Jerry. So heißen Sie doch, nicht wahr? Ich hörte es von den anderen Männern. Ich war auf einmal ganz ruhig, als ich ihre Augen sah, Jerry. Es war ein sehr schönes Gefühl. Ich habe noch nie im Leben einen Menschen wirklich sehr lieb gehabt. Aber ich glaube, ich habe Sie sehr lieb.«
Sie ließ sich zurück auf das Bett gleiten und sah mit bittend an.
»Nicht böse sein, weil ich das gesagt habe. Niemals in meinem Leben habe ich gefühlt, wie das ist, wenn man einen Menschen sehr lieb hat, Jerry. Ich weiß natürlich, daß es Unfug ist. Daß ich sehr dumm bin und sehr töricht. Daß Sie mich nicht lieben. Daß Sie nur gerecht sein wollen. Daß alles weiß ich. Aber bitte, Jerry, gönnen Sie mir dieses Gefühl, daß ich für Sie empfinde. Ich will nur endlich einmal mein Herz sprechen lassen dürfen. Ich bin doch auch nur eine Frau, die sich nach Zärtlichkeit und Liebe sehnt.«
Sie machte eine müde Bewegung. »Ich will nicht länger davon sprechen. Sie werden es sicher als peinlich empfinden, was?«
Sie lachte gekünstelt.
»Ich bin sehr sentimental, nicht wahr? Nun, es ist schon wieder vorbei. Ich bin Ihnen so dankbar, Jerry, daß Sie sich so für mich einsetzen. Ich habe hier, seit ich allein in dieser Zelle bin, alles noch einmal durchdacht. Ich habe versucht, es mit den Augen der anderen zu sehen. Und ich glaube, es ist sinnlos, daß wir uns viel Mühe geben, Jerry. Alle Welt muß mich für die Schuldige halten, so wie die Dinge nun einmal liegen. Und mir ist es gleichgültig, wozu sie mich verurteilen. Ich habe Unrecht getan, als ich diesen Mann heiratete, weil ich meiner Armut und dem ewigen Hunger entkommen wollte. Dafür muß ich jetzt büßen. Es ist gleichgültig, wie es nach außen hin aussieht. Wollen wir nicht einfach alles auf sich beruhen lassen?«
Ich klatschte meine geballte Faust auf die linke Handfläche.
»Nein!« widersprach ich heftig. »Das wollen wir eben nicht! Solange ich noch ein bißchen Luft zum Atmen habe, solange werde ich nicht aufgeben. Ich habe noch nie aufgegeben und ich werde es jetzt schon gar nicht tun. Jetzt am allerwenigsten. Bitte, Debora, ich weiß, daß es widerlich ist, aber ich muß noch einmal die ganze Geschichte hören. Bitte, versuchen Sie sich an jede Kleinigkeit zu erinnern, die an diesem Vormittag vorgefallen ist. Irgendwo muß der Fingerzeig doch sitzen, der uns zur Wahrheit führt! Es muß diesen Fingerzeig geben!«
Den Rest der bewilligten Stunde verbrachten wir damit, noch einmal alles durchzusprechen. Es war ergebnislos. Den erhofften Wegweiser zur Wahrheit hatte ich nicht gefunden. Alles war grau, schwarz und undurchsichtig, wie es seit Anfang an gewesen war.
***
Es war kurz vor ein Uhr in der Nacht, als mein Jaguar in der winkligen Gasse stoppte, an die die Rückwand des Grundstückes grenzte. Über einen kurzen Kiesweg gelangte man an die Haustür des Gärtnerhäuschens. Natürlich lagen die Leute zu Bett, als ich kam. Ich mußte eine ganze Weile schellen, bis mir der Gärtner öffnete. Er hatte einen Bademantel um seine breite Gestalt geschlungen, darunter sahen die Hosenbeine seines Schlafanzuges heraus.
»Cotton FBI«, stellte ich mich noch einmal vor, für den Fall, daß er mich nicht wieder erkannte. »Mrs. Haters sagte, daß Sie ein Duplikat der Villenschlüssel hätten. Hier ist ein Zettel von ihr. Sie möchten mir die Schlüssel geben.«
»Wo ist denn Mrs. Haters? Meine Frau war heute abend noch einmal in der Villa. Sie wollte sehen, ob sie irgend etwas für die Frau tun könnte. Aber sie war nicht da.«
»Mrs. Haters ist verhaftet worden«, sagte ich mit rauher Stimme.
Er war ehrlich bestürzt.
»Verhaftet? Ja, aber wieso denn?«
»Dringender Mordverdacht, sagt die Stadtpolizei.«
»So. Hm. Hm.«
Er war auf einmal merkwürdig verändert. Aber mir hing mein Vorhaben im Kopf, und ich achtete deshalb nicht
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