0020 - Der Mord, der mir den Atem nahm
bin beim FBI.«
Er setzte sich mir gegenüber und bedeutete mir, sitzen zu bleiben.
»Okay, Mister Cotton, was kann ich für Sie tun?«
»Sie sind für die Untersuchungen im Falle Haters zuständig?«
»Ja. Aber wenn Sie etwas über diesen Fall wissen wollen, muß ich Sie enttäuschen. Ich habe selbst noch keine Zeit gehabt, mich darum zu kümmern. Die Stadtpolizei erbat heute nachmittag einen Haftbefehl von mir. Ich hörte mir die Gründe kurz an, und da sie mir ausreichend erschienen, unterschrieb ich die Haftorder. Aber mehr weiß ich selbst noch nicht.«
»Ich möchte von Ihnen eine Erlaubnis haben, sofort mit den Untersuchungsgefangenen sprechen zu dürfen, Sir.«
»Jetzt? Es ist fast elf Uhr!«
»Ich weiß.«
»Bearbeiten Sie den Fall vom FBI her?«
Ich biß mir auf die Unterlippe. Ausgerechnet das mußte er fragen! Zum Glück fuhr er schon fort, bevor ich mein ,Nein‘ hatte an den Mann bringen können.
»Wenn es dringend ist, will ich nichts dagegen haben. Und wenn Sie mich um diese Zeit noch aufsuchen, dann wird es wohl dringend sein. Fahren Sie rüber zum Gefängnis, ich rufe inzwischen dort an. Sie werden keine Schwierigkeiten haben. Sprechzeit auf eine Stunde. Genügt Ihnen das?«
Mir fiel ein Stein vom Herzen, so groß wie die ganzen Rocky Mountains. »Yes, das genügt.«
»Gut. Ich freue mich, daß ich Ihnen helfen konnte, Mister Cotton. Gute Nacht! Und — Waidmannsheil!«
Ich nickte lächelnd: »Waidmannsdank!«
Dann stand ich draußen. Und alles in mir war aufgeregt wie bei einem verliebten Schuljungen. In einer halben Stunde würde ich vor ihr stehen. Obgleich es an diesem Abend bestimmt nicht schwül war, fing ich doch an zu schwitzen.
***
Der Wärter hatte das Licht eingeschaltet. Jetzt öffnete er mir die Tür. Ich trat ein. Geräuschvoll fiel die Stahltür hinter mir zu. Mir klopfte das Herz bis zum Halse.
Die Zelle war anders als die, die ich bisher gesehen hatte. Es lag natürlich daran, daß ich hier in einem Untersuchungsgefängnis war, und vor dem Gesetz sind Untersuchungshäftlinge so gut wie Unschuldige, deshalb werden ihnen nicht nur Vergünstigungen vor anderen, abgeurteilten Gefangenen gewährt, sondern auch ihre Zellen besser ausgestattet. So gab es hier nicht nur einen Hocker, sondern einen Stuhl, und auf dem Sims vor dem vergitterten Fenster standen ein paar schüchterne Feldblumen.
Anscheinend hatte man meinen Besuch angemeldet, denn sie saß angezogen auf ihrem Bett, in dem sie sicher schon gelegen hatte.
»Guten Abend«, brachte ich endlich hervor.
Sie nickte kaum merklich mit dem Kopfe. Ihre schönen großen Augen waren unverwandt auf mich gerichtet.
Ich schluckte. Herrgott, warum sagte sie denn nichts? Ich konnte doch nicht ewig an der Tür stehen bleiben?
Sie deutete auf einen Stuhl. Ich ließ mich erlöst darauf niederplumpsen.
»Ich muß noch einmal mit Ihnen sprechen«, begann ich zögernd.
Ihr Gesicht war keine fünfzig Zentimeter von mir entfernt. Ich spürte ihren warmen Atem über meine Wangen gleiten, wenn sie atmete.
Der zarte Duft von guter Seife und von dem unaufdringlichen Parfüm der in ihrem Ankleidezimmer geherrscht hatte, stieg mir verwirrend in die Nase.
»Es steht schlecht um meine Sache, nicht wahr?« fragte sie. Ihr Gesicht drückte so viel Verlassenheit und kindliche Hilflosigkeit aus, daß mir die Wut in der Kehle hochkam. Wut worauf eigentlich? Ich weiß es nicht. Vielleicht einfach Wut auf diese ganze Welt, in der Unschuldige verdächtigt werden können. In der sich immer noch Menschen verkaufen müssen, nur weil sie Hunger haben.
»Ja«, gab ich zu. Kurz und hart. »Es steht verdammt schlecht. Ich will Ihnen nichts vormachen, Mistreß —«
Sie wehrte erschrocken ab. Als wollte sie diesen Namen nie wieder hören.
»Bitte, nennen Sie mich Debora«, sagte sie tonlos.
Ich streichelte scheu ihre Hand. Als es mir selbst bewußt wurde, zuckten meine Finger erschrocken zurück, als ob ich mich verbrannt hätte. Ich stand auf und ging ein paar Schritte hin und her.
»Wir dürfen uns nichts vormachen, Debora«, sagte ich. »Alle Beamte der Mordkommission sind davon überzeugt, daß Sie es gewesen sind. Übrigens glaubt es sogar Miß Tudor…«
Sie sah mich mit schreckgeweiteten Augen an.
»Nein!« rief sie, und es war ein Aufschrei, der mir durchs Herz schnitt. Ich wußte genau, was sie damit verlor. Miß Tudor war der einzige Mensch, den sie hier in den Staaten gehabt hatte, die einzige Freundin, inmitten einer fremden
Weitere Kostenlose Bücher