0026 - Die Braut des Henkers
was es wolle. Denn in Coryhead war nur Platz für ihn, hier an der Stelle, die ausersehen war, als Brückenkopf des Bösen zu dienen.
Und er sollte mithelfen, diesen Brückenkopf vorzubereiten.
Gespannt und voller Konzentration verfolgte er das Geschehen am Strand vor den Felsblöcken.
Deutlich konnte er Ophelia, dieses unsterbliche Wesen aus der Vergangenheit, erkennen. Sie, die als Fluch der Gegend angesehen wurde, konnte nichts für ihre unseligen Taten. Sie war durch ihren Fluch damals vor dreihundertfünfzig Jahren erst zu dem geworden, was sie heute war. Und sie würde es in Ewigkeit auch bleiben, falls nicht jemand kam und den Zauber brach, unter dessen Bann sie stand.
Eine Idee durchzuckte den Unheimlichen, den alle nur unter dem Namen Richard kannten, dem Namen, unter dem er vor vierundzwanzig Jahren als Findelkind ins Kirchenregister eingetragen worden war. Sollte vielleicht der Mann dort sich in den Kopf gesetzt haben, die Henkersbraut von ihrem Fluch zu erlösen?
Wenn ja, dann musste er es auf jeden Fall verhindern.
Nun konnte er sehen, wie die beiden, der Sterbliche und die Unsterbliche, miteinander redeten.
Er schlich näher heran und konnte verstehen, was sie besprachen.
Als er hörte, wie Professor Zamorra von seiner Berufung und dem Erbe seiner Vorfahren redete, begriff er endlich, was ihm drohte.
Zamorra! Professor Zamorra! Er war es, der dort unten am Strand mit der Geistererscheinung verhandelte. Dann musste die andere Frau bei ihm seine Assistentin sein.
Instinktiv wusste Richard, dass dort sein Erzfeind stand, der Gegner aller Dämonen und bösen Geister.
Und er war so gut wie unbesiegbar. Denn das Amulett, das er trug, verlieh ihm Kräfte, denen ein Dämon oder ein Sendbote des Bösen nichts entgegenzusetzen hatte… Fieberhaft überlegte er, wie er es anstellen könnte, doch noch die Oberhand zu behalten.
Da unterbrach das Geschehen am Strand seine Gedanken.
Der Professor schritt auf die Lichtwand zu!
Er kam ihr immer näher, drang in sie ein und war bald darauf spurlos verschwunden.
Das Zeittor! Ophelia hatte für ihn das Zeittor errichtet. Also musste er sich jetzt auf dem Weg in die Vergangenheit befinden. Das konnte er aber nur ohne das Amulett bewerkstelligen. Daher musste sich das Amulett jetzt irgendwo in der Nähe befinden… Wahrscheinlich hatte es im Augenblick diese andere Frau, die Assistentin des Dämonenprofessors.
Schlangengleich glitt Richard an die Felsen heran. Er sah jedes Hindernis rechtzeitig, denn er konnte auch in absoluter Finsternis sehen, ein Erbe seiner Herkunft und seiner Vorfahren.
Ja, dort saß auf einem Stein die Frau, die den Professor überallhin begleitete. Sie musste er bezwingen, überwinden.
Die Frau drehte sich zur Seite.
Da durchzuckte den Unheimlichen ein heißer Strahl der Freude.
Auf ihrer Brust schimmerte etwas.
Das Amulett!
Dort vor ihm war es. In seiner Reichweite. Er brauchte nur zuzugreifen. Doch er wusste auch um die Gefahr, die ihm von diesem silbernen Talisman drohte.
Er musste es vorsichtig anstellen und durfte nichts überstürzen.
Doch er musste sich auch beeilen, denn jederzeit konnte dieser Professor wieder auftauchen. Wer weiß, was er in der Vergangenheit machte.
Richard konnte es nur ahnen, und diese Ahnung trieb ihn zu höchster Eile an.
Ja, der Ruf seiner Ahnen erreichte ihn und trieb ihn zum Handeln.
Mit hasserfülltem Blick fasste er die Frau ins Auge, die dort arglos auf einem Stein saß und nichts von dem Grauen ahnte, das auf sie zukam…
***
Als Zamorra die Lichtwand berührte, hinter der Ophelia auf ihn wartete, verspürte er ein sonderbares Ziehen in der Wirbelsäule. Er hatte das Gefühl, als würde sein Körper einschrumpfen und sich gleichzeitig aufblähen.
Zu seinem Entsetzen konnte er sich auf einmal nicht mehr sehen.
Seine Arme, seine Beine, sein ganzer Körper – er war verschwunden!
Um ihn herum war alles grau und in wogender Bewegung. Wie Wolken am stürmischen Himmel trieben die Grauschatten vorbei, umtanzten die beiden. Sie waren Eindringlinge in diesem Reich jenseits von Zeit und Raum und man gaukelte ihnen schreckliche Bilder vor.
Zamorra hatte das Gefühl, als würde er mit den geballten Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte konfrontiert. Zusammenhänge wurden ihm klar, zeigten ihm ihr wahres Gesicht.
Und eine schreckliche Angst ergriff von ihm Besitz. Die Angst, sich hier in dieser dimensionslosen Lücke zwischen den Zeitstrahlen zu verirren und niemals mehr in die Gegenwart
Weitere Kostenlose Bücher