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0026 - Die Braut des Henkers

0026 - Die Braut des Henkers

Titel: 0026 - Die Braut des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kubiak
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Immer deutlicher zeichneten sie sich ab. Schon bald war ein Körper zu erkennen. Dann folgte ein Gesicht.
    Es war das Gesicht eines überaus hübschen Mädchens. Ihre Züge waren ebenmäßig, ihre Nase gerade. Die Augen waren von einem verwirrenden Blau, und sie trug ein langes weißes Gewand, das Zamorra als Hochzeitskleid erkannte, allerdings aus einer Epoche, die lange vor unserer Zeit liegt.
    Das Wesen schwebte heran. Ihre Füße berührten den Boden nicht.
    In ihren Augen lag kein Hass, sondern nur tiefe Trauer und Niedergeschlagenheit.
    Ernst betrachtete sie die Menschen, die da in der Kälte der Nacht am einsamen Strand vor ihr standen. Dann öffnete sie den Mund, und eine liebliche Stimme ertönte.
    »Ihr habt mich gerufen. Warum? Wer begehrt mich zu sprechen, mich, die Unglücklichste unter der Sonne? Und ich sehe dort das Henkerbeil meines Geliebten. Wer gab es euch? Es ist doch mit einer Schranke versehen, die jedem normalen Sterblichen verbietet, es zu berühren. Wer gab euch die Kraft, es aus der Kirche zu tragen?«
    Zamorra musste sich erst sammeln. Er war noch zu verblüfft, als dass er das als selbstverständlich angenommen hätte, was sich da vor seinen Augen abspielte.
    Er räusperte sich.
    »So gibt es dich also doch. Wir sind hergekommen, weil wir von deinen Taten erfuhren. Und weil es meine Berufung ist, gegen die Dämonen auf unserer Erde zu kämpfen, habe ich mich entschlossen, dich aufzuspüren und deinem Tun Einhalt zu gebieten; deshalb bin ich hier, und deshalb habe ich dich gerufen.«
    Der Ausdruck im Gesicht der Erscheinung veränderte sich nicht.
    Er wurde eher noch trauriger. »Warum hast du mir das Beil genommen? Jetzt wird mir nie mehr Gerechtigkeit widerfahren. Das Beil war meine einzige Hoffnung. Jetzt hast du sie mir genommen.«
    Zamorra war verblüfft. »Was soll das heißen? Ich verstehe das nicht. Welche Hoffnung habe ich dir genommen? Was hat es mit diesem Beil auf sich? Überdies – warum hast du diese Gräueltaten begangen?«
    Das Astralmädchen hob den Arm und machte eine weite Geste.
    »Hier in dieser Gegend bin ich aufgewachsen. Hier wollte ich glücklich werden. Hier wollte ich heiraten und eine Familie gründen. Doch der Einfluss des Bösen hat das unmöglich gemacht. Im letzten Moment vor der Trauung wurde mir der Bräutigam von der Seite gerissen und bestialisch ermordet.«
    Zamorra nickte und meinte: »Ich weiß das alles. Ich kenne auch die Namen der Beteiligten. Doch was hat das mit dem Beil auf sich, und wie kommt es, dass du dich in den Hexenhenker von Coryhead verliebtest?«
    »Oh, als ich ihn kennen lernte, wusste ich nicht, dass er der berüchtigte Hexenhenker von Coryhead war. Ich kannte ihn nur als sehr liebenswerten jungen Mann, der keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte. Doch in unserem Dorf hauste das Böse, der Satan, oder auch ein Diener des Satans. Wie er heißt, kann ich nicht mehr sagen. Ich habe es vergessen. Doch hat er das ganze Dorf verhext und zu diesen Wahnsinnstaten getrieben. Er hatte damals die Menschen aufgehetzt, dass sie einen aus ihrer Mitte als Hexe an den Pranger stellen und später töten. Die armen Bürger konnten nichts dafür. Und nicht selten hat sich damals vor dreihundertfünfzig Jahren jemand das Leben genommen, nachdem er erkennen musste, an welch grausigem Schauspiel er teilgenommen hatte. Es war damals eine Zeit des Schreckens. Als man mir den Bräutigam genommen hatte, tat ich den Schwur, dass ich seinen Tod rächen würde. Oh, hätte ich es doch nie getan. Denn nun geriet auch ich in die Hand des Satans. Denn er nahm mich beim Wort, schenkte mir das ewige Leben, schickte mich aber als Mörderin über das Land. Immer wieder ergriff mich dieser verhängnisvolle Trieb und jagte mich aus meinem Grab, das ich mir damals ausgesucht hatte. Du musst wissen, dass ich mir damals das Leben nehmen wollte. Ich setzte mich jedoch zuvor noch für eine Zeit in den Sand genau hier vor die Felsen. Dann muss ich eingeschlafen sein. Und als ich erwachte, befand ich mich in einem Verlies tief unter der Erde. Ich hörte dann Stimmen, konnte aber niemanden erkennen, der zu mir gesprochen hätte. Seitdem habe ich jeden Zeitbegriff verloren. Ich weiß nur, dass ich, wenn man mich ruft, in die Kirche gehen muss, um mir das Beil meines Geliebten zu holen. Denn nur mit dieser Waffe kann ich die Befehle befolgen, die mir gegeben werden. Das ist meine Geschichte. In all den Jahren habe ich nur gehofft, dass ich endlich von meinem unseligen Schicksal

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