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0026 - Die Braut des Henkers

0026 - Die Braut des Henkers

Titel: 0026 - Die Braut des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kubiak
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dann von seiner Assistentin das Amulett geben. Dieses legte er sich um den Hals, nachdem er sich einen schwarzen Rollkragenpullover übergestreift hatte. Die Symbole auf der silbernen Scheibe schimmerten matt im Mondlicht. Es klirrte leise, wenn es an die Kette stieß.
    Zamorra konzentrierte sich und berührte einige der rätselhaften Schriftzeichen, die die Silberscheibe verzierten. Er spürte fast augenblicklich, wie die Kräfte des Amuletts auf ihn übergingen, wie sie ihn durchdrangen und erfüllten.
    Er bedeutete seiner Assistentin, sich einige Meter zu entfernen.
    Dann nahm er das Henkerbeil hoch und hielt es über den Kopf.
    Mit langen und gemessenen Bewegungen ließ er es durch die Luft fahren und drehte sich dabei um seine eigene Achse.
    »Ophelia! Ophelia! Ich rufe dich! Henkersbraut von Coryhead – ich, der Träger des Amuletts meiner Vorväter, rufe dich an! Erscheine! Siehe, ich habe dein Beil aus der Kirche geholt! Das soll dir zeigen, dass ich mächtiger bin als die Bürger dieses Dorfes. Auch mir sind besondere Kräfte gegeben! Ophelia! Ich rufe wieder. Erscheine!«
    Die Szene war gespenstisch. Und wenn sie nicht so ernst gewesen wäre, hätte man vielleicht darüber lachen können. Doch Nicole wusste, dass ihr Chef in diesen Dingen keinen Spaß machte. Auch sie hatte lernen müssen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die mit menschlichem Geist und aller Wissenschaft nicht zu erklären waren. Gespannt wartete sie daher, was geschehen würde.
    Und die Ereignisse ließen auch nicht lange auf sich warten.
    Erst schien es, dass die Brandung immer stärker werden würde.
    Plötzlich war der Wind eingeschlafen. Kein Lüftchen regte sich mehr. Das Tosen der auf dem Strand laufenden Wellen wurde immer lauter.
    Nicole schauderte. Eine Gänsehaut kroch ihr über den Rücken. Sie wollte aufschreien, wollte ihren Chef bitten, aufzuhören. Doch ihre Lippen waren versiegelt. Sie brachte sie nicht auseinander. Kein Laut drang aus ihrem Mund.
    Auch Zamorra blieb von der veränderten Atmosphäre nicht unberührt. Bedenken regten sich in ihm, dass er das Henkerbeil von seinem angestammten Platz entfernt hatte. Sollte die Dämonin – falls es sie wirklich gab – es bemerkt haben, dann würde sie sich bitter an ihm rächen. Und dann würde sie sicherlich nicht allein erscheinen.
    Vielleicht brachte sie ein ganzes Heer von Geistern und Monstern mit sich.
    Zamorra verdrängte diese Befürchtungen und schrie weiterhin seine Beschwörungen in die Nacht.
    »Ophelia! Braut des Hexenhenkers – erscheine!«
    Wie eine weiß gischtende Mauer lag nun die Brandung vor dem Strand. Unaufhörlich rasten die Wellen heran, ihre Gewalt wurde durch nichts gebrochen.
    Schon leckten die ersten Ausläufer um Zamorras und Nicoles Füße. Sie schienen es nicht zu merken.
    Dann erfüllte ein sonderbares Geräusch die Luft in der Umgebung. Der Laut schien seinen Ursprung in den beiden Felsen zu haben.
    Es war ein Singen und Dröhnen, das fast körperlich zu spüren war. Der ganze Strand schien zu beben. Nicole blickte sich um, und ein Schrei entrang sich ihrer Kehle.
    Sie hatte den Eindruck, als würden die beiden Felsen umstürzen – genau auf sie und ihren Chef.
    Der Schrei ließ Zamorra herumfahren. Mit einem Blick erfasste er die Situation. Er stürzte zu Nicole hin und legte einen Arm um ihre Schultern. »Keine Angst, Nicole. Es ist nicht gefährlich. Dies sind nur die Vorboten der Erscheinung.«
    »Aber die Felsen, Professor! Sehen Sie denn nicht – Sie kippen auf uns!«
    »Das bilden Sie sich nur ein. Bleiben Sie ganz ruhig.«
    Zamorra wandte sich wieder um und blickte über den Strand. Er hob das Henkerbeil erneut und schwang es durch die Luft.
    »Ophelia, Henkerin, erscheine!«
    Auf einmal gab es einen markerschütternden Knall. Eine Druckwelle ließ Nicole und den Professor in die Knie sinken.
    In dem Spalt zwischen den Felsen wurde es auf einmal hell.
    Eine flirrende Lichtwolke zeichnete sich ab, die immer mehr wuchs, bis sie den Spalt ganz ausfüllte.
    Es war ein weißliches Leuchten, das an Intensität noch zunahm.
    Mit weit geöffneten Augen starrte Nicole diese Erscheinung an.
    »Chef«, krächzte sie, »schauen Sie… Was ist das?«
    Zamorra schüttelte unwillig den Kopf. Jetzt war nicht der Augenblick, lange Erklärungen abzugeben.
    »Seien Sie ganz still, Nicole. Ich erkläre es ihnen später, wenn alles vorüber ist.«
    Die Lichtwolke näherte sich der vorderen Felskante.
    Und dann bildeten sich in ihr Konturen.

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