0027 - Wir fingen den roten Delphin
Licht kam von der fast vollen Mondscheibe. Die Palmen wiegten sich in der schwachen Brise, die vom Meer her kam und mit erfrischendem Luftzug über unsere Köpfe fächelte.
Unterwegs trafen wir Tom Ryling.
»Hallo, Gents«, wiederholte er seine Begrüßung von unserer ersten Begegnung. »Wie geht’s?«
»Mäßig bis ganz schlecht«, maulte Phil, der aus irgendeinem Grund schlechte Laune hatte.
»Mittel bis ganz gut«, sagte ich lachend.
»Prrr!« stöhnte Ryling. »Ich habe wieder einen Tag hinter mir! Einen Tag, kann ich euch sagen, zum Auswachsen! Ganz weit draußen, am äußersten Zipfel des Hotelgeländes, hat sich ein Millionär einen Bungalow gemietet. Der Kerl leidet an unheimlicher Verfettung. Sein Arzt hat ihm jetzt Sport verordnet! Warum mußte dieser schwere Kerl gerade auf den Gedanken kommen, es mit Schwimmen zu versuchen! Bei seinem Fett könnte er überhaupt nicht untergehen! Aber er ist imstande, die Naturgesetze auf den Kopf zu stellen! Er hat die große Zehe noch nicht ganz im Wasser, schon geht er unter. Ich habe ihn 17mal herausholen müssen! 17mal mußte ich zwei Zentner Lebendgewicht an den Rand des Beckens zerren und dann aus dem Wasser ziehen! Das hat mit Schwimmunterricht nichts mehr zu tun! Das ist eine neue Art von Folter!«
Ryling fuhr sich durch seine kurzgeschnittenen Haare und schwor, daß er seinen Millionär beim nächsten Mal ersaufen lassen würde. Ich glaubte es ihm natürlich nicht, stutzte aber, als er uns unvermittelt fragte: »Boys, was macht ihr hier eigentlich den ganzen Tag?« Hatte er etwas gemerkt? Glaubte er es nicht, daß wir die faulen Söhne reicher Eltern waren? Oder warum fragte er sonst? Ich erwiderte möglichst harmlos: »Warum?«
»Na, wie sich hier in diesem Miami jemand wohl fühlen kann, das verstehe der Himmel! Was ist denn hier schon los? Nichts als blasiertes und affektiertes Getue! Selbst die krampfhaft aufgezogenen Strandfeste sind doch nichts als hohles Vergnügen. Mein Vater hätte mich Hilfsarbeiter oder sonst was werden lassen sollen, nur nicht Schwimmlehrer.«
»Gehen Sie doch in eine andere Stadt, wenn Sie’s hier über haben!« schlug ich vor.
»Ich Esel habe doch einen Zehnjahresvertrag bei Mr. Eden unterschrieben!« rief er in verzweifeltem Ton.
Wir versuchten ihm klar zu machen, daß es anderswo mindestes genauso langweilig sei wie in Miami. Nachdem wir noch ein paar belanglose Worte gewechselt hatten, trennten wir uns.
Phil und ich gingen stumm über die Kieswege. Wenn wir nicht in Gedanken mit Rosalees Ermordung beschäftigt gewesen wären, hätten wir vielleicht leicht etwas von der wunderschönen Nacht gehabt, aber so kümmerten uns die leuchtenden Sterne keinen Cent.
Kurz vor der letzten Weggabelung vor unserem Bungalow kamen wir an einer Bank vorbei, die auf drei Seiten von hohen Büschen eingerahmt war. Die Büsche blühten in einer dunkelroten Farbe. Ich kannte dieses Gewächs nicht.
Auf der Bank saß ein Mann und schnipste unablässig ein silbernes Feuerzeug an. Offenbar hatte er gar nicht die Absicht zu rauchen, denn er hielt weder Pfeife noch Zigarre oder Zigarette in der Hand. Als ich genauer hinsah, erkannte ich den Schwachsinnigen, den wir schon am Abend unserer Ankunft in Gesellschaft seiner beiden Brüder in der Bar gesehen hatten.
Er grinste uns blöde an. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, als sei dieses ganze schwachsinnige Getue nichts als eine raffinierte Maske, hinter der sich wer weiß was verbergen konnte. Aber dann siegte das menschliche Mitgefühl mit dem armen Kerl.
Wir hatten nach knapp einer Minute unser nettes Häuschen erreicht. Wir zogen uns die Jacken aus, nahmen die Krawatten ab und öffneten beide den obersten Hemdknopf.
»Ich könnte eigentlich mal unserem niedlichen Bun-Girl klingeln«, meinte Phil, während er sich bequem in einen riesigen Sessel flegelte. »Was hältst du davon?«
»Meinetwegen«, gähnte ich.
Ich wußte ja nicht, daß Phil schon wieder eine seiner neugierigen, aber klug berechneten Fragen abschießen wollte.
***
Das Mädchen erschien nach bemerkenswert kurzer Zeit. Sie lächelte Phil ein bißchen freundlicher zu als mir und erkundigte sich nach unseren Wünschen.
»Bringen Sie uns etwas zu essen und zur Verdauung eine Flasche Whisky!« bestellte Phil.
Sie wollte genau wissen, was er zu essen wünschte, und Phil nannte seine Wünsche. Schon nach einer knappen Viertelstunde erschien sie mit einem großen Tablett, auf dem alles stand. Sie stellte das Tablett
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