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003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alphonse Brutsche
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mal. Aus der Geschichte werde ich nicht klug.« Pierre nickte und führte den Wächter an die Mauer, die man hinter den Gräbern bereits sehen konnte.
    »Hier muss die kleine Tür irgendwo sein«, sagte Pierre, als sie den Weg erreicht hatten, der innen an der Mauer entlang führte.
    Sie folgten der hohen Einfriedung. In ihrem Schatten war es kalt. Je weiter sie sich vom Hauptportal entfernten, desto unsicherer wurde Pierre.
    Sie legten etwa zehn Meter zurück, gingen weiter …
    »Na, wo ist denn Ihre Tür?« fragte der Wächter spöttisch.
    Pierre presste die Lippen zusammen und ballte die Hände in den Taschen. Dann kamen sie an eine Vertiefung in der Mauer, die ungefähr die Ausmaße der kleinen Tür hatte, durch die er mit Bornimus gegangen war. Früher hatte sich hier anscheinend einmal eine Pforte befunden. Die Öffnung war aber zugemauert worden – und nicht erst in letzter Zeit, das konnte man deutlich an der Beschaffenheit der Ziegel erkennen.
    Pierre sah sich um. Weit und breit war keine andere Tür zu sehen. Weiter waren Bornimus und er aber bestimmt nicht vom Hauptportal aus gegangen. Vor der zugemauerten Pforte stürzte für Pierre ein weiteres Stück der Welt ein, die aus Logik und Vernunft bestand.
    »Ist diese Tür schon lange zugemauert?« fragte er mit schwacher Stimme. Er wusste die Antwort schon, ehe sie ihm der Wächter gab.
    »Solange ich da bin, ja. Und ich habe vor acht Jahren hier angefangen.«
    »Dann habe ich mich also getäuscht.«
    »Kann ja Vorkommen. Auf dem Friedhof und noch dazu im Dunkeln …«
    Der kleine Mann mit dem dicken grauen Schnurrbart sah Pierre mit schlecht verhohlener Nachsicht an. Er schien es gewohnt zu sein, mit etwas sonderbaren Menschen zu tun zu haben.
    Er nickte ihm noch einmal zu, dann kehrte er zu seinem Pförtnerhäuschen zurück.
    Pierre folgte ihm mit dem Blick. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. An dieser Stelle waren die Gräber fünf bis sechs Meter von der Mauer entfernt. Den freien Platz, der vermutlich für künftige Todesfälle reserviert war, bedeckte eine Grasfläche, die vergilbt und vertrocknet war. Als Pierre seinen Blick gedankenlos darüber wandern ließ, bemerkte er Spuren.
    Die Abdrücke waren deutlich zu sehen. Es waren etwa ein Dutzend. Fußspuren, die von schweren Schritten stammten, sonst hätten sie sich nicht so tief in den Rasen eingedrückt. Sie kamen aus dem Inneren des Friedhofs und führten direkt zur vermauerten Tür. Dort hörten sie auf, so als sei der Mann, der vom Friedhof gekommen war, durch die Mauer hindurchgegangen. Pierre beugte sich über die Spuren. Zwischen den zertretenen Gräsern lagen dunkle Erdklümpchen.
    Er richtete sich auf. Trotz der Sonne fror er plötzlich bis ins Mark.
                                                    

     
    Pierre Merlin wartete bis zum Montag der übernächsten Woche, ehe er den Besuch machte, zu dem es ihn sosehr drängte.
    All die Tage waren für ihn ein einziger Alptraum gewesen. Er hatte sich seinen Kollegen im Büro so fern wie möglich gehalten, und sie hatten ihn in Ruhe gelassen. Sie nahmen an, dass er eine Zeit tiefer Melancholie zu überwinden hatte. Er war zwischen seiner Wohnung und dem Büro hin und her gegangen, ohne auch nur ein einziges Mal den Friedhof aufzusuchen.
    Er schlief schlecht und aß kaum etwas. Merkwürdigerweise hatten ihn keinerlei Träume mehr geplagt. Er wusste nicht, ob er darüber froh oder unglücklich sein sollte. Denn dass er in keiner inneren Verbindung mehr mit Christine stand, bedrückte ihn mehr als alles andere.
    »Was soll ich tun, Christine?« seufzte er manchmal, wenn er nachts schlaflos im Bett lag oder das Foto seiner Frau betrachtete, das eingerahmt auf seinem Nachttisch stand.
    Manchmal sagte er sich, dass es doch wohl klar sei, was Christine wünschen würde, wenn sie die Wahl hätte. Allein der Gedanke daran erfüllte ihn schon mit Entsetzen.
    Zuerst musste er sich Gewissheit verschaffen.
    Am Montag, dem 14. November, verließ er kurz nach acht Uhr das Haus. Im Büro hatte er sich einen Tag Urlaub geben lassen. Er ging auf das nächste Postamt und sah dort im Telefonbuch nach. Wie er angenommen hatte, gab es mehrere Flandrins in der Stadt. Es schrieb sich ihre Nummern auf und ging in eine Telefonzelle. Sobald sich jemand meldete, fragte er nach Arthur Flandrin.
    Dreimal gab es keinen Arthur in der Familie. Er entschuldigte sich und behauptete, eine falsche Nummer gewählt zu haben.

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