Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alphonse Brutsche
Vom Netzwerk:
sagte Pierre leise, aber in ärgerlichem Ton.
    Er sagte sich, dass der Trick des Alten darin bestand, durch Suggestion bei seinen Kunden irgendwelche Wahnvorstellungen zu erwecken. Aber bei ihm sollte es Bornimus nicht gelingen, er ließ sich nicht für dumm verkaufen.
    »Doch, man hört etwas«, erwiderte der Alte. »Aber man muss es verstehen. Sie haben noch nicht das Ohr dafür. Ich spüre, dass er kommt. Nur noch ein paar Minuten …«
    Pierre räusperte sich. Leise schlug es vom Turm viertel vor sieben.
    »Jetzt« sagte Bornimus plötzlich.
    Ein leises Knirschen ertönte zu ihren Füßen. Es war ein Laut, wie ihn ein Stein verursacht, der auf einer harten Oberfläche verschoben wird.
    Das macht er mit dem Fuß, dachte Pierre, damit ich Angst bekomme.
    Trotz dieser Überlegung schlug sein Herz noch heftiger.
    Dann zuckte er zusammen. Eine Hand des Alten fasste sein Gelenk.
    Zu seinen Füßen, wo sich das Grab befand, ertönte ein neues Knirschen.
    »Lassen Sie mich los! Sie sind ja verrückt!« fuhr Pierre den Alten an.
    Er riss sich los und wich einen Schritt zurück. Vergebens bemühte er sich, das Zittern seiner Hände zu bekämpfen.
    »Was ist denn, mein lieber Merlin?« ertönte die spöttische Stimme des Alten. »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
    Nein, ich lasse mich von dem alten Kerl nicht reinlegen, dachte Pierre.
    »Kommen Sie, wollen Sie es sich nicht ansehen?« sagte Bornimus.
    Plötzlich leuchtete der Strahl einer Taschenlampe auf. Er war auf das Grab gerichtet und erhellte eine dicke hellgraue Marmorplatte, auf der vier oder fünf schwere Vasen aus demselben Material standen. Alle waren mit Blumen gefüllt. Eines der Gefäße begann zu schwanken. Mit aufgerissenen Augen sah Pierre, wie er sich immer mehr zur Seite neigte, dann stürzte sie auf den Weg. Die roten Blumen fielen kreuz und quer auf den Boden. Die Vase rollte langsam auf ihn zu.
    Dann hörte man ein weiteres Knirschen, und auch die restlichen Vasen begannen zu schwanken. Die schwere Marmorplatte wurde wie von unsichtbaren Händen zwei oder drei Zentimeter zur Seite geschoben. Im Schein der Taschenlampe sah Pierre einen schmalen Spalt zwischen der Platte und dem Erdboden.
    Plötzlich drehte er sich um und rannte davon, als sei der Teufel hinter ihm her.
     

     
    Doch diesmal war es kein Traum, den man am Morgen vergessen konnte. Es war etwas, das sein ganzes Leben erfasst hatte, wie eine Sturmflut alles andere überspülte und ihn mit sich riss, ob er wollte oder nicht. Es war ein Alptraum – Pierre wagte es sich kaum einzugestehen –, der Wirklichkeit wurde.
    Den folgenden Tag verbrachte er wie ein Schlafwandler. In der Nacht hatte er kaum geschlafen, aus Furcht, er könne plötzlich wieder den lebenden Leichnam neben sich finden. Er hatte im Geist Christine zu Hilfe gerufen, aber zum ersten Mal seit ihrem Tod hatte er das Gefühl, dass sie unerreichbar für ihn war. Fast schien es, als sei sie nicht für ihn zu sprechen, weil sie von ihm … anderes erwartete. Was dieses andere war, daran wagte er nicht einmal zu denken.
    Die Bürostunden waren qualvoll. Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren war Pierre zu spät gekommen. Seine Kollegen wagten nicht, ihn zu fragen, was ihm fehlte, nachdem ihre Versuche, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ergebnislos geblieben waren.
    Canauff, der kurz vor der Mittagspause an Pierres Zeichentisch getreten war, hatte bemerkt, dass die Hände seines Kollegen zitterten. Die Linien, die er gezeichnet hatte, waren nicht so exakt wie sonst.
    Im Gegensatz zum vorangehenden Abend war Pierre Merlin noch bis nach sechs Uhr über seinen Grundriss gebeugt. Canauff und Dutour wechselten einen mitleidigen Blick, als sie das Büro verließen. Pierre räumte seine Papiere erst kurz vor sieben Uhr auf. Er hatte sich in die Arbeit vergraben, um an nichts anderes denken zu müssen.
    Aber sobald er das Büro verlassen hatte, durch die kalten, düsteren Straßen heimgekehrt war und sich in seiner für ihn viel zu großen Wohnung aufhielt, waren die grässlichen Gedanken auf ihn eingestürmt. Immer wieder sah er im Schein der Taschenlampe die schwere Marmorplatte beiseite gleiten. Dieser Vorgang war technisch ganz unmöglich, und doch hatte er ihn mit eigenen Augen gesehen. Er fand keine Erklärung dafür.
    Auch heute gelang es ihm nicht, mit Christine in das vertraute Zwiegespräch zu kommen. Die Kälte, unter der er litt, peinigte nicht nur seinen Körper, sondern hatte auch von seiner Seele Besitz ergriffen. Er wusste nicht

Weitere Kostenlose Bücher