0032 - Ausflug in die Unendlichkeit
„Ich wäre froh, wenn wir schon einige hundert Lichtjahre von hier weg wären."
„Seit wann kannst du keinen Spaß mehr vertragen?" wunderte sich Rhodan. „Du hast den Unsterblichen ja regelrecht herausgefordert." Bully sah auf die Instrumente. „Wir haben noch sechzig Sekunden.
Koordinaten stimmen. Alles stimmt!" Er warf sich in einen Sessel und lehnte sich zurück. Als er weitersprach, schloß er die Augen. „In zwei Minuten sind wir etwas mehr als 1750 Lichtjahre von hier entfernt."
Er schwieg - und Rhodan war ihm dankbar dafür.
Jetzt, genau in dieser Sekunde hatte er die Reise mit dem Unsterblichen angetreten. Er spürte, wie eine Welle des Nichtbegreifens über ihn hinwegspülte und ihn einhüllte. Ihm war für einen Augenblick, als fiele er in einen niemals endenden Abgrund hinein. Haltlos stürzte er. Seine Augen waren weit geöffnet, aber sie sahen nichts - nur tiefschwarze Finsternis mit einem winzigen verwaschenen Lichtfleck weit voraus.
Die Milchstraße! Genau darauf zu stürzte er - mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Aber es dauerte nur eine einzige Sekunde, dann verschwand die Vision und machte der Wirklichkeit Platz. Vor sich sah er wieder die Kontrollschirme der STARDUST, die Instrumente und Skalen, die vielen Hebel und Zeiger und Knöpfe.
Er lag im Sessel und spürte das Vibrieren des Antriebes. Das war unbestreitbare Wirklichkeit. Die vergangene Sekunde aber ... ja, was war sie denn überhaupt? Mit Schrecken erkannte Rhodan, daß er sie zweimal erlebt hatte. Nein, eigentlich dreimal.
Einmal über dem Planeten Wanderer, dem unbegreiflichen Gebilde eines noch unbegreiflicheren Wesens.
Einmal in der Unendlichkeit, wo aus dieser Sekunde zweierlei wurde: eine Realität von zehn Wochen und eine Vision von vierhunderttausend Jahren.
Und einmal - jetzt - in einer ganz normalen Sekunde.
Welche Sekunde aber war die echte, die wirkliche? Was überhaupt war eine Sekunde, wenn sie keine Gültigkeit mehr besaß?
„Noch dreißig Sekunden!" sagte der Robotzähler mit seiner metallischen Stimme. „Noch neunundzwanzig..." Rhodan schloß die Augen. Noch neunundzwanzig Sekunden oder noch neunundzwanzig Ewigkeiten, ganz wie man will. Wieviel Zeit versäumen wir eigentlich, indem wir sie einteilen wollen?
Und, halb erwartet, kam die Antwort aus dem Nichts, eine vertraute und wohlbekannte Stimme, lautlos und doch so deutlich vernehmbar: Eine sehr kluge Frage, alter Freund. Stell dir nur einmal vor, auf der Erde gäbe es weder Tag noch Nacht, keine Jahreszeiten und keinen Wechsel der Gezeiten. Würde der Mensch überhaupt bemerken, daß er alterte? Würde er nicht sehr überrascht sein, plötzlich den Tod herannahen zu spüren? Würde er überhaupt wissen, daß es eine Zeit gäbe?
Aber - ist die Zeit nicht etwas durchaus Reales, genau wie der Raum?
Beides ist absolut irreal, alter Freund. Vor dir liegt nun eine Entfernung von mehr als 1750 Lichtjahren, eine fast unvorstellbare Entfernung, die auf deiner Welt noch vor einem guten Jahrzehnt als unüberwindbar galt. Du wirst diese Entfernung in einer einzigen Sekunde überwinden. Deine Uhren werden dir zeigen, daß in der Tat nur eine einzige Sekunde vergangen ist, wenn du dein Ziel erreichst.
Lasse die Zeit aus dem Spiel, und du wirst erkennen, daß die Überwindung des Raumes in der Tat - in dieser Form - unmöglich ist. Und doch geschieht es! Hast du darauf eine Antwort?
Der Hyperraum, der Pararaum. Wir nehmen unseren Weg durch die fünfte Dimension ...
Das sind Worte, nichts als Worte. Der Mensch spricht diese Worte aus, ohne ihren Sinn jemals zu begreifen. Selbst deinem geschulten Hirn müssen sie unbegreiflich bleiben. Das menschliche Gehirn hat eine Vorliebe dafür, abstrakte Begriffe zu prägen. Ich möchte versuchen, dir einen Begriff der Realität zu vermitteln, aber ich beginne zu ahnen, daß ich dich damit nur noch mehr verwirren würde. Doch wir haben noch viel Zeit, bevor du mich verläßt.
Nicht mehr viel, dachte Rhodan und sah auf die Uhr. Sie zeigte unverändert neunundzwanzig Sekunden an. Neben ihm im Sessel lag Bully und rührte sich nicht. Sein Gesicht war starr und wie tot.
Alle Zeit der Welt in diesem Zustand, dachte der Unsterbliche zurück. Sieh auf die Uhr - sie steht. Hörst du noch den Robotzähler? Nein, du hörst ihn nicht, weil auch für ihn die Zeit stehengeblieben ist. Oder dein Freund Bully - von deinem Standpunkt aus betrachtet ist er tot. Tot?
Ja, tot. Denn solange du ihn auch betrachtest, für ihn vergeht nur
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