0033 - Der Pfähler
Tat umsetzen. Da aus Süddeutschland ein Fall bekannt ist, wird der gute Will sich bestimmt mal umhorchen. Außerdem ist sein Knöchel schon gut verheilt.«
Mit der letzten Bemerkung spielte ich auf einen Fall an, der uns nach Frankreich geführt hatte und gar nicht lange zurücklag. Dort hatte uns Kommissar Will Mallmann tatkräftig zur Seite gestanden. Er war ein Bursche, auf den ich mich hundertprozentig verlassen konnte. [1]
Für Bill war die Sache klar, und er wechselte das Thema. »Wo steckt eigentlich Suko?«
Ich deutete mit dem Daumen nach links. »In seiner Bude.«
»Schläft der oder hat er sich ein rassiges Chinagirl geangelt?«
»Letzteres wohl nicht.« Ich grinste. »Das hätte ich sicherlich gehört.«
Wir flachsten noch eine Weile herum und vergaßen die Vampire, Werwölfe und Dämonen. Bill langte kräftig zu, der Flaschenpegel näherte sich bedrohlich der unteren Grenze.
Gegen dreiundzwanzig Uhr schellte es.
»Das ist Sheila!« rief Bill.
Mein Freund hatte recht. Sheila begrüßte mich mit einem Kuß auf die Wange, schaute dann ihrem Mann in die Augen und sagte lakonisch: »Der ist ja schon breit.«
»Höchstens guter Stimmung«, verteidigte ich meinen Freund.
Sheila rutschte aus ihrem Mantel. Sie trug darunter ein braunes Wollkleid mit gehäkeltem Oberteil. Ihre blonden Haare hatte sie hochgesteckt, die Wangen glühten.
»Auch einen Schluck?« fragte ich.
»Nein, nein, ich muß fahren.«
Bill legte den Arm um seine Frau. »Setz dich doch«, schlug er vor. »So jung kommen wir nicht mehr zusammen.«
»Aber höchstens eine halbe Stunde.«
»Wenn die rum ist, können wir die Flasche kippen.« Bill schenkte sich noch einen doppelten ein.
Sheilas Blick war filmreif. Sie sagte aber nichts.
Wir blieben noch ungefähr dreißig Minuten beisammen. Zum Abschied meinte Bill mit schwerer Zunge: »Denk daran, John, was ich dir gesagt habe.«
Sheila hob die wohlgeformten Augenbrauen. »Hat er dir auch die Magazine gezeigt?«
Bevor Sheila kam, hatte ich sie weggeräumt. »Deshalb ist Bill doch bestimmt gekommen.«
Sheila winkte ab. »Der Gute spinnt sich wieder was zusammen.«
Bill widersprach. »Es gibt genügend Zeugen, die gesehen haben, daß die Vampire…«
Sheila wurde energisch. Sie faßte ihren Mann an der Schulter und drehte ihn herum. »Und ich habe genügend Zeugen, die behaupten werden, daß du ins Bett mußt, mein Lieber.« Sie wandte sich an mich. »Bis später, John!«
Ich öffnete die Tür und ließ die beiden hinaus. Bill pfeifte die Melodie von »Lovers in the Air«, als er mit seiner Frau zum Fahrstuhl ging. Er hatte an diesem Abend nicht die beste Kondition mitgebracht.
Ich räumte noch im Livingroom auf und stieg dann unter die Dusche. Obwohl nur Büroarbeit hinter mir lag, war ich doch rechtschaffen müde. Das mußte an den trockenen Akten liegen, die ich bearbeitet hatte. Jetzt konnte ich verstehen, warum manche Beamte bei der Arbeit einschliefen, womit ich nichts gegen die Beamten sagen möchte, schließlich bin ich selbst einer.
Mit dem angewärmten Frotteetuch trocknete ich mich ab, hängte mir mein Kreuz wieder um und betrat das Schlafzimmer.
Über London pfiff ein Novembersturm. Er brachte schwere Regenwolken mit und riß die letzten Blätter von den Bäumen. Der Winter stand vor der Tür.
Mir stand erst einmal das Bett bevor, und somit eine anständige Mütze voll Schlaf. Auf dem Nachttisch lagen noch ein paar Bücher, die ich unbedingt lesen wollte, aber ich war zu müde, um in die Schwarten hineinzuschauen.
Langsam dämmerte ich hinüber in Morpheus Armen. Im Zimmer war es dunkel, nur das grüne Zifferblatt des Weckers leuchtete. Inzwischen näherten sich die beiden Zeiger der Tageswende.
Mitternacht!
Mir fielen die Augen zu. Im gleichen Moment jedoch zuckte ich zusammen und wurde wieder wach.
Mit einem Stöhnlaut fuhr ich im Bett hoch. Urplötzlich schien mein Körper in Flammen zu stehen. Ich fand kein Körperteil, das das nicht schmerzte. Weit riß ich den Mund auf und atmete keuchend. Der Schweiß trat mir aus sämtlichen Poren und blieb mir auf der Haut wie eine Schicht kleben.
Niemals zuvor in meinem Leben hatte mich ein Anfall mit einer derartigen Wucht überrascht. Ich versuchte nicht mehr an den Schmerz zu denken, sondern ihn zu lokalisieren. Das Zentrum strahlte von meiner Brust aus.
Und dort lag das Kreuz auf der Haut.
Sollte es etwa?
Ich überlegte nicht mehr weiter, sondern zog mir die schmale silberne Kette, an der das Kreuz hing,
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