0033 - Der Pfähler
und rieb sich die Hände. »Bald«, flüsterte er, »bald wirst du wieder in den Wäldern auf Opfersuche gehen. Die Menschen werden noch mehr Angst haben, hinter dicke Mauern flüchten und darauf hoffen, daß du sie niemals heimsuchst. Aber die Hoffnung ist trügerisch. Du wirst sie dir holen. Alle!«
Nach diesen Worten packte Jurc die Hyäne und legte sie in einer Seitenlage quer über den Sarkophag.
Wieder holte er sein Messer hervor, prüfte noch einmal die Klinge und stieß zu. Er wußte genau, wo er die Klinge anzusetzen hatte und trat dann zufrieden zurück.
Zwei Minuten wartete er. Dann schleuderte er den Kadaver des Tieres in eine Ecke. Die Hyäne, das Sinnbild des Bösen aus dem Tierreich, hatte ihre Schuldigkeit getan.
Die Ascheschicht war mit Tierblut bedeckt. Jurc sah es, als er in den Sarkophag schaute. Gespannt wartete er ab. Zuerst geschah nichts. Dann aber begann die Flüssigkeit zu brodeln, warf dicke Blasen, die mit blubbernden Geräuschen zerplatzten und dabei heiße Spritzer hochschleuderten.
Hastig trat Jurc zurück, um nicht getroffen zu werden. In den nächsten Sekunden begann abermals ein Umwandlungsprozeß. In dicken Schwaden quoll schwarzgrauer Rauch aus dem Sarkophag, kroch wie Nebel über die Ränder und breitete sich im gesamten Verlies aus, so daß es an eine Waschküche erinnerte.
Immer dichter wurde der Nebel, immer mehr Rauch wölkte hervor, wurde schwerfällig dem Boden entgegengedrückt und wallte als eine Wand hin und her.
Die Rauchentwicklung wurde von zischenden und platzenden Geräuschen begleitet, doch dann übertönte ein anderer Laut diese widerliche Begleitmusik.
Stöhnen…
Grausam und schwer – und es war direkt aus dem Sarkophag gekommen. Die Metamorphose begann.
Jurc zitterte am gesamten Leib. Er hatte die Augen weit aufgerissen. Vergeblich versuchte der helle Lampenstrahl die Nebelwand zu durchdringen, aber dennoch sah Petroc Jurc den dunkleren Schatten, der sich langsam aus dem Sarkophag schob.
D. Kalurac war erwacht!
Der Schwarze Graf wuchs aus dem Innern der Nebelwand. Er stieg geisterhaft aus dem Sarkophag. Hob zuerst den rechten, dann den linken Fuß und schien im Nebel zu schweben.
Er kam auf Jurc zu.
Plötzlich packte den Holzfäller die Angst. »Nein!« keuchte er, »bleib weg! Verschwinde! Was willst du von mir?«
Kalurac sprach. Zum erstenmal drangen Worte aus seinem Mund. Dumpf klangen sie in der Wolke. »Du hast mich erweckt, Mann. Und dir gebührt die Ehre des ersten Kusses!«
Petroc Jurc wollte fliehen, doch der Vampir war schneller. Ein wuchtiger Tritt schleuderte die Tür des Verlieses zu.
Jurc war gefangen!
Kalurac schälte sich aus dem Nebel, und der Holzfäller sah zum erstenmal die Gestalt des Horrorwesens dicht vor sich. Es war ein schauriges Gesicht und stand dem des Grafen Dracula in nichts nach.
Bleich schimmerte die Haut. Hohl und eingefallen waren die Wangen. Die Nase war schmal, die Flügel ein wenig gebläht. Wie zwei farblose Striche wirkte der Mund, und die Augen, sie glühten und erinnerten Jurc an heiße Kohlestücke.
Ganz in Schwarz war der Blutsauger gekleidet. Eng lag das Trikot um seinen Körper. Über seinem Rücken breitete sich wie die Schwingen eines großen Vogels ein pechschwarzer Umhang aus.
Aber all das flößte Jurc keine Angst ein. Erst als er die beiden langen Vampirhauer sah, die aus dem Oberkiefer wuchsen, da wußte er, was seine Stunde geschlagen hatte.
Auch mit ihm war eine Wandlung vorgegangen. Jetzt, wo er seine Pflicht erfüllt hatte, war das Böse von ihm gewichen. Jurc war wieder völlig normal.
Für ihn jedoch war es ein Verhängnis.
Er sollte Kaluracs erstes Opfer werden!
Kräftige Hände streckten sich nach ihm aus. Der Vampir tauchte jetzt völlig aus der Nebelwand und bohrte seine Finger in den Stoff der Jacke.
Jurc wollte sich losreißen, doch die Klammer griff eisenhart zu.
Ein heftiger Ruck, Jurc fiel gegen die Wand, prallte mit dem Hinterkopf gegen einen Stein und wurde dann zur Seite gerissen. Sekundenlang verlor der Holzfäller die Übersicht.
Kalurac aber lachte böse und beugte sich mit weit geöffnetem Mund über ihn…
***
Marek, der Pfähler war längst nicht mehr der Jüngste. Und dies bemerkte er zu seinem großen Bedauern immer mehr. Auf halber Strecke mußte er eine Pause einlegen. Er setzte sich auf einen modrigen Baumstumpf und keuchte.
Den Pfahl hatte er unter seine Jacke gesteckt. Er hing in einer Schlaufe, so daß er nicht zu Boden fallen konnte. Auf ihn
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