0038 - Die Horror-Reiter
es prüfend in der rechten Hand.
»Der erste Wurf muß sitzen«, sagte er. Juan beobachtete gespannt den Chinesen, vor dem er in den letzten Stunden so etwas wie Hochachtung bekommen hatte.
Suko ging noch einen Schritt weiter nach rechts, blickte an der Mauer hoch und gab noch mehr Seil zu. Es war ein riskantes Unternehmen. Suko mußte zusätzlich sein Gleichgewicht halten. Haken und Eispickel hatten sie zum Glück nicht gebraucht, aber das Seil war jetzt lebenswichtig geworden.
Der Chinese ließ das Seil kreisen. Einmal, zweimal – gab noch etwas nach, und dann fegte der viergliedrige, sternförmige Haken in die Höhe. Suko hatte genau gezielt. Dicht an der Mauer entlang schoß der stählerne Stern hoch, schwang über die Kuppe – ein helles, metallisches Klirren – und hakte sich fest.
»Geschafft!« zischte Juan Ortega. In seinen Augen wetterleuchtete es.
Suko prüfte die Belastbarkeit des Seils. Der Haken saß fest. Sie hatten bereits vorher abgesprochen, wie sie vorgehen wollten. Suko stieg als erster.
Er nickte Juan Ortega noch einmal zu, lächelte, packte das Seil mit beiden Händen und fing an, sich hochzuhangeln. Es war eine Schufterei. Mit den Beinen stemmte sich Suko am Mauerwerk ab.
Auf der Hälfte der Streckte legte Suko eine kleine Pause ein und schaute zurück.
Juan Ortega stand unter ihm und winkte. Der Chinese machte weiter.
Plötzlich sah er den rötlichen Widerschein dicht oberhalb der Klostermauern. Diesen Schein hatten weder er noch Juan von unten gesehen. Suko kannte sich aus. Er wußte, daß dieser Widerschein nur von einer Anzahl von Fackeln stammen konnte. Er rechnete damit, daß der Innenhof des Klosters beleuchtet war.
Warf er einen Blick nach links, so sah er einen der beiden Türme. Er sah im Dunkeln aus wie eine viereckige, übergroße Zigarre.
Noch zwei Yards, dann hatte er es geschafft. Die anstrengende Kletterei zerrte an seiner Kondition. Trotz der Kälte begann Suko zu schwitzen. Auf dem letzten Yard wurde er noch vorsichtiger und kletterte langsamer. Sein Kopf befand sich bereits auf gleicher Höhe mit der Mauerkrone, als er seinen rechten Arm ausstreckte und die Finger um das Gestein krallte. Jetzt beglückwünschte sich Suko, keine Fäustlinge übergestreift zu haben. Er fand Halt. Langsam zog Suko sein Bein nach. Er winkelte das Knie an, stützte sich damit auf der Mauerkrone ab und zog das andere Bein sofort nach, während sein linker Arm vom Seil weg vorschnellte.
Suko lag auf der Mauer. Flach und schwer atmend. Nur langsam beruhigten sich seine Lungen. Die Mauer war ungefähr so breit wie der Weg, und der Chinese konnte bequem darauf liegen. Jetzt streifte ihn auch der Fackelschein. Mein Freund stützte sich mit den Ellbogen ab und drehte vorsichtig den Kopf nach rechts. Gerade so weit, daß er in den Hof des Klosters hineinschauen konnte. Suko zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag mit der Peitsche erhalten. Die Fackeln, die den Innenhof erleuchteten, steckten nicht in Halterungen an der Wand, sondern befanden sich in den Händen von zahlreichen Mönchen. Sie alle hatten die Köpfe erhoben und ihre Gesichter dem auf der Mauer hockenden Suko zugewandt. Der Chinese wurde klar, daß ihre Überraschung nicht gelungen war. Im Gegenteil. Die Mönche hatten ihn erwartet!
***
Ich glaubte dem Abt das Versprechen aufs Wort. Nichts würde ihn mehr befriedigen, als meinen Tod mitzuerleben.
Plötzlich begann mein Herz rasend zu hämmern. Ich hatte das Gefühl, als würde es jeden Augenblick aus dem Körper springen.
Don Alvarez lachte. »Jetzt hast du Angst, wie?«
Ich konnte es nicht leugnen.
Die Messer senkten sich. Synchron. Mit gleichmäßiger Geschwindigkeit zielten sie auf meine ungeschützte Brust, um sie zu durchbohren.
Ich riß mich zusammen, und es kostete mich eine Riesenüberwindung.
»Ich würde es an deiner Stelle nicht tun!« keuchte ich.
Die Messer waren nur noch eine Handbreit von meiner Brust entfernt.
»Und warum nicht?« fragte der Abt.
Ich setzte alles auf eine Karte.
»Ich könnte dir wichtige Informationen geben. Zum Beispiel über das Dämonenreich oder…«
»Ha! Du winselst um dein erbärmliches Leben, Sinclair.« Er lachte. »So schwach, wie du bist – nein, das hätte ich von dir nie gedacht. Und da haben die anderen Angst vor dir. Ich kann nur darüber lachen. Mehr nicht.«
Mir war es egal, was er tat. Hauptsache, er nahm die verdammten Messer weg, denn davor hatte ich im Augenblick einen wirklichen Horror. Außerdem mußte
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