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0039 - Turm der Verlorenen

0039 - Turm der Verlorenen

Titel: 0039 - Turm der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kubiak
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war die Küche des Hauses. Zamorra ging über den gefliesten Boden zu dem großen Herd, der den gesamten Raum beherrschte. Er öffnete die Klappe und prallte erstaunt zurück. Auf dem Rost lag noch Glut! Aber der Herd selbst war kalt!
    Zamorra meinte, in einen Horrorfilm geraten zu sein. Suchend schaute er sich um. Sein Blick saugte sich an dem Tisch fast in der Mitte des Raumes fest. Ein Gedeck stand da. Teller, Besteck und Tasse. Auf dem Teller lag ein Stück Brot. Und aus der großen Bauerntasse kräuselte sich Dampf zur Decke.
    Zamorra folgte seinem inneren Drang und ging zu dem Tisch hinüber. Der Farbe nach zu urteilen, war Tee in der Tasse. Der Professor nahm die Tasse auf, um zu sehen, wie warm der Tee noch war.
    Er war eiskalt!
    Zamorra war aufs Tiefste verwirrt. Er verließ die Küche und betrat wieder den Gang. Ein Stück weiter öffnete er wieder eine Tür. Gleißende Helligkeit überfiel ihn. Der Professor schloss geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, kannte sein Erstaunen keine Grenzen. Vor ihm stand eine Festtafel. Ein großer ausladender Tisch war so festlich gedeckt, als würde hier eine Hochzeit oder ein ähnliches Ereignis gefeiert.
    Schweres Silberbesteck lag neben den Tellern und lud zum Gebrauch ein. Zamorra spürte jetzt erst, wie der Körper sein Recht forderte. Ein bohrendes Hungergefühl erinnerte ihn daran, dass er seit dem frühen Morgen nichts mehr zu sich genommen hatte.
    Ein unwiderstehlicher Drang trieb ihn dazu, sich an den Tisch zu setzen und sich von den herrlichen Köstlichkeiten zu bedienen. Verwirrt schaute sich der Professor um, dann siegte sein Hunger.
    Er zog einen Stuhl heran und nahm Platz. Direkt vor dem Gedeck, das er benutzen wollte, stand eine Silberplatte mit appetitlich aussehenden Bratenscheiben. Zamorra nahm sich eine herunter und führte den ersten Bissen zum Mund.
    Mit einem unterdrückten Fluch spuckte er das Fleisch zurück auf den Teller. Es war eiskalt und schmeckte nach nichts. Zamorra sprang auf. Polternd fiel der Stuhl um. Unwillkürlich verharrte Zamorra mitten in der Bewegung, jeden Augenblick gewärtig, vom Hausherrn entdeckt zu werden.
    Doch im Haus blieb alles totenstill. Hastig setzte Zamorra seinen Rundgang fort. Überall traf er die gleiche Atmosphäre an. Alles sah aus, als wäre es nur für kurze Zeit verlassen worden. Sei es nun eine Zeitung, die aufgeschlagen neben einem Sessel auf dem Boden lag, oder ein geöffneter Nähkorb, auf dem eine Schürze lag, an die offensichtlich ein Knopf angenäht werden sollte. Der Knopf war schon mit ein, zwei Stichen festgeheftet worden, und die Nadel warf im Licht einer Lampe blitzende Reflexe. Es war ein Gaslicht, das einen kalten Schimmer verbreitete.
    Zamorra überlegte kurz, dann redete er sich ein, dass das hier nur ein Einzelfall war.
    Schnell rannte er wieder hinaus auf die Straße, um sein Glück beim nächsten Haus zu versuchen. Dabei drehte er sich noch einmal um.
    Er hatte sich die Lage der erleuchteten Zimmer genau gemerkt.
    Aber alle Fenster in dem rätselhaften Gebäude mit der gedeckten Festtagstafel waren dunkel. Kein Lichtschimmer fiel durch die Vorhänge. Und Zamorra wusste genau, dass keine Vorhänge vor die Fenster gezogen waren, als er den Raum betreten hatte.
    Sollte die Geschichte, die die Leute sich erzählten, doch einen wahren Kern haben? Sollte Valice wirklich eine Geisterstadt sein?
    Zamorra setzte seinen Rundgang fort. Im nächsten Gebäude, in das er ohne große Mühe eindringen konnte – auch hier war die Tür nicht abgeschlossen – erging es ihm ähnlich.
    Zwar fand er keine Festtafel vor, doch mussten hier die Bewohner gerade beim Essen gesessen haben, denn er fand auf dem Esstisch in der Küche des Hauses Teller, auf denen noch Essensreste zu sehen waren. Doch auch hier blieb der Eindruck, als hätte irgendjemand die Bewohner des Hauses vom Essen vertrieben.
    Zamorra fand sich unwillkürlich an Pompeji erinnert, wo der Ausbruch des Vesuvs die Menschen völlig überraschend und unerwartet getroffen haben musste. Immer wieder fand man in den Ruinen der versunkenen Stadt mumifizierte Opfer der Katastrophe, die anscheinend irgendeiner Beschäftigung nachgingen.
    Zamorra konnte sich keinen Reim darauf machen. Doch brach er seinen Rundgang nicht ab. Er ging weiter und suchte nach Spuren, die ihm beweisen konnten, oder verrieten, wohin die Einwohner von Valice verschwunden waren.
    Er gelangte auf den Marktplatz. Ein halb verfallenes Bauwerk erregte seine Aufmerksamkeit.

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