004 - Anruf aus der Hölle
deren Tod eine große Hilfe gewesen. Immer zugegen, wenn er sie brauchte. Stets unaufdringlich, hilfsbereit. Ein Juwel. Es war eigentlich nicht richtig, daß er sie so wenig betrachtete.
An diesem Abend tat er es zum erstenmal. Sie saß auf dem Stuhl, hatte die Beine übereinandergeschlagen, und er bemerkte, daß es schlanke, wohlgeformte Beine waren.
Auch ihre Figur unter dem schlichten Kostüm war wohlgeformt, und wenn man ihr Gesicht genauer betrachtete, war sie eigentlich gar nicht so unhübsch. Die Brille störte ihn, und er fragte sich, wie sie wohl aussah, wenn sie das hochgesteckte Haar offen trug.
Warum hatte er nicht wieder geheiratet? Er wußte es nicht genau, aber konnte nicht Rosalind daran schuld sein? Sie war immer für ihn da, wenn er sie brauchte. Natürlich beschränkte sich ihr Kontakt nur auf den beruflichen Bereich, doch Huck R. Koenig spürte, daß zwischen ihnen trotzdem mehr war als das nüchterne Geschäft.
Sie wartete geduldig, Stenoblock und Bleistift in den schlanken Händen, schaute ihn an und lächelte sanft. »Wenn Sie müde sind, sollten wir für heute Schluß machen, Mr. Koenig.«
»Diesen einen Brief noch, dann ist Feierabend«, erwiderte der Millionär. »Ich habe Sie heute wieder mal über Gebühr beansprucht.«
»Das macht doch nichts. Sie wissen, daß ich gern für Sie arbeite.«
»Sie haben überhaupt kein Privatleben.«
»Das stört mich nicht.«
»Gibt es keinen Mann in Ihrem Leben, der auf Ihren Job eifersüchtig ist, oder auf Ihren Chef?«
Sie senkte verlegen den Blick und errötete. Was empfand sie für ihn? War er mehr für sie als nur ihr Arbeitgeber?
»Es gibt keinen Mann in meinem Leben, Mr. Koenig«, sagte sie leise.
Er räusperte sich. »Ich glaube, ich muß Sie wegen meiner Neugier um Verzeihung bitten, Rosalind. Es steht mir nicht zu, Ihnen solche Fragen zu stellen. Ihr Privatleben ist Ihre eigene Angelegenheit… Wo waren wir stehengeblieben?«
Rosalind Conn blickte auf ihren Block und las den letzten Satz vor. Huck R. Koenig setzte das Diktat fort und beendete mit den Worten: »So, und jetzt brauche ich einen Drink. Möchten Sie auch etwas haben?«
»Ja, gern.«
Er begab sich zur Hausbar, die in die holzgetäfelte Wand eingelassen war, und zählte auf, was er hatte. Sie entschied sich für einen Gin-Fizz. »Aber nur einen kleinen«, sagte sie. »Ich kann Alkohol nur in geringen Mengen vertragen.«
An diesem Abend interessierte ihn Rosalind zum erstenmal als Frau. Er war begierig, alles über sie zu erfahren. In den sechs Jahren, die sie nun schon für ihn arbeitete, war sie stets sehr zurückhaltend gewesen. Er wußte so gut wie gar nichts von ihr, und das war eigentlich schade.
Er brachte ihr den Drink.
»Ich hoffe, Sie können für mich noch ein bißchen Zeit erübrigen«, sagte er lächelnd.
»Soviel Sie wollen. Ich habe nichts vor, Mr. Koenig.«
Er stieß mit ihr an und sagte ihr, daß er sie sehr schätze. Sie wurde sofort wieder verlegen. Er spürte, daß sie ihn mochte. In all den Jahren hatte sie es ihm nicht gezeigt, und ihm war es auch nicht aufgefallen. Aber heute abend, da bemerkte er es, und es gefiel ihm.
Du bist ein Idiot, sagte er im Geiste zu sich. Diese Frau liebt dich, aber du warst bis heute mit Blindheit geschlagen.
Sie ließ sich zu einem zweiten Glas überreden.
Er bat sie, ihm von sich zu erzählen. Sie sträubte sich anfangs dagegen, gab seinem Drängen schließlich nach, meinte aber: »Es gibt wohl kaum eine uninteressantere Person wie mich.«
Er widersprach. Nicht aus Höflichkeit. Sie erzählte ihm viele Dinge, von denen er keine Ahnung hatte. Der Gin-Fizz löste ihre Zunge. Sie sprach von einer enttäuschten Liebe.
»Das hat mich sehr verletzt«, sagte sie. »Ich verkroch mich in mein Schneckenhaus und kam nie wieder heraus. Ich hatte Angst vor einer neuen Enttäuschung, habe sie immer noch.«
Nach dem dritten Gin-Fizz bekamen ihre Augen ein seltsames Feuer. Er bat sie, die Brille abzunehmen. Sie tat es zögernd. Auch seinen Wunsch, das Haar zu lösen, erfüllte sie ihm. Er war überrascht.
»Wissen Sie, daß Sie sehr schön sind, Rosalind«, sagte er bewundernd.
Sie schaute zu Boden. »Sie sollten das nicht sagen, Mr. Koenig.«
»Warum nicht? Es ist die Wahrheit.« Er trat auf sie zu. Sein Blut pochte auf einmal in den Schläfen. Er hatte den Wunsch, sie in seine Arme zu nehmen und sie zu küssen. Aufgeregt faßte er unter ihr Kinn. Er hob ihren Kopf. In ihren Augen war ein Ausdruck, der mehr sagte als
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