004 - Kerry kauft London
Kellergeschoß hochgeführt war, ein großer Safe. Er stand scheinbar auf dem Fußboden, aber ein gewöhnlicher Boden hätte das Gewicht gar nicht tragen können.
Das war aber nicht das einzige Bemerkenswerte an dem Raum. Die Wände waren in ihrer ganzen Ausdehnung mit Spiegeln verkleidet. Sechs Lampen, die Tag und Nacht brannten, waren so aufgehängt, daß ihr Licht von allen Seiten voll auf den Safe fiel. Kein Wunder, daß dieser einzigartige Raum ganz London anzog und zu einer Sehenswürdigkeit der Metropole geworden war.
Tag und Nacht war der Safe allen Vorübergehenden sichtbar. Niemand betrat den Raum außer King Kerry mit dem bewaffneten Wächter, der die Reinemachefrauen jeden Morgen bei ihrer Arbeit beaufsichtigte.
Else betrat, ein wenig von Scheu ergriffen, das Gebäude. Sie wurde von einem uniformierten Verwalter in das hintere Bürozimmer geführt. Hier saß ganz allein der Mann mit dem grauen Haar und schrieb eifrig.
Bei ihrem Eintritt sprang er auf und zog einen pompösen Stuhl heran.
»Nehmen Sie Platz, Fräulein Marion«, begrüßte er sie. »Ich werde Sie bald Else nennen, weil…« er lächelte, als sie rot wurde, »… wir in Amerika in einem freundschaftlicheren Verhältnis zu unseren Mitarbeitern stehen, als es hierzulande üblich ist.«
Er drückte auf einen Knopf, und der Verwalter trat ein.
»Sind Ihre beiden Kollegen draußen?«
»Jawohl.«
»Lassen Sie sie hereinkommen.«
Ein paar Sekunden später kehrte der Mann mit zwei anderen Verwaltern zurück, die steif an der Tür stehenblieben.
»Dies ist Fräulein Marion«, sagte Kerry, und Else erhob sich.
Die Leute musterten sie aufmerksam.
»Darf ich Sie bitten, dort an die Wand zu treten?«
Eise schritt gehorsam durch das Zimmer, während King Kerry sämtliche Lampen einschaltete.
»Sie werden Fräulein Marion jetzt bei jeder Beleuchtung erkennen«, wandte sich Kerry wieder an die Verwalter. »Fräulein Marion hat Tag und Nacht Zutritt zum Büro. Das ist alles.«
Die Leute grüßten und verließen das Zimmer. King Kerry schaltete die Lampen wieder aus.
»Es tut mir leid, Sie belästigen zu müssen, aber da Sie der einzige Mensch auf Erden sind, der dieses Vorrecht haben wird, muß ich sehr gründlich sein. Diese Leute haben die Wächter unter sich, und einer von ihnen hat immer Dienst - Tag und Nacht.«
Sie setzte sich wieder in dem angenehmen Gefühl, das das Bewußtsein seiner Bedeutung einem Menschen gibt.
»Darf ich mir eine Frage erlauben?«
Er nickte.
»Warum haben Sie gerade mich gewählt? Ich bin keine perfekte Sekretärin, und Sie wissen gar nichts von mir. Ich kann ja mit den übelsten Leuten in Verbindung stehen.«
Er lehnte sich in seinen Polsterstuhl zurück und betrachtete sie mit einem kaum merklichen Lächeln.
»Was ich von Ihnen weiß, ist das Folgende: Sie sind die Tochter des Geistlichen John Marion, eines Witwers, der vor sieben Jahren starb und Ihnen kaum mehr hinterließ, als nötig war, Sie zu Ihrer Tante nach London zu bringen. Sie haben einen Onkel in Amerika, der eine große Familie und unzählige Hypotheken im mittleren Westen hat. Ein Bruder von Ihnen ist jung gestorben. Sie waren bei drei Firmen in Stellung - bei der Firma Meddleson in Eastcheap, die Sie verließen, weil Sie sich weigerten, einen schweren Betrug mitzumachen; bei Highlaw & Sons in der Moorgate Street - Sie gingen dort weg, weil die Firma Bankrott machte - und bei Tack & Brighten, die Sie auch ohne mein Zutun verlassen hätten.«
Sie starrte ihn verwundert an.
»Wie haben Sie das herausgebracht?«
»Mein liebes Kind«, sagte er, während er aufstand und ihr väterlich die Hand auf die Schulter legte, »wie bekommt man so etwas heraus? Dadurch, daß man Leute fragt, die es wissen. Ich laufe wenig Gefahr! Ich bin nach Southwark gefahren, um Sie zu sehen und, wenn möglich, zu sprechen. Und zwar tat ich dies, ehe ich Sie engagierte und bevor Sie wußten, daß ich diese Ab sicht hatte. Also!«
Er ging rasch zu seinem Schreibtisch. »Nun das Geschäftliche. Sie bekommen wöchentlich zehn Pfund von mir und eine Gratifikation am Ende eines jeden Jahres. Ihr Dienst besteht darin, daß Sie als meine Vertrauensperson arbeiten, Briefe schreiben - nicht etwa nach Diktat, denn ich hasse das Diktieren, sondern im Sinne meiner Instruktionen.«
Sie nickte.
»Noch eins«, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort und lehnte sich über den Schreibtisch, »Sie müssen sich drei Worte einprägen.«
Sie machte sich auf einen der üblichen kleinen
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