004 - Kerry kauft London
»wieviel ist dir dann sein Leben wert?«
Ihr Gesicht war bleich. Die Gefahr, die ihr in all diesen Jahren gedroht, hatte noch nie so furchtbar ausgesehen und hatte ihr noch nie so ans Herz gegriffen wie in diesem Augenblick.
»Los, setz einen Preis fest! Keinen halben Preis a la King Kerry«, sagte er mit seinem melodischen Lachen, »sondern den vollen Marktpreis für ein Menschenleben, das dir sehr kostbar ist. Sollen wir dreiviertel Millionen sagen?«
In ihr wallte eine Flut von Haß gegen diesen lächelnden Mann auf, der sie so viele Jahre lang gequält und versucht hatte, ihr wegen des Reichtums, der ihm dann zufallen würde, das Leben zu nehmen. Es war ein Haß, der alle anderen Überlegungen auslöschte bis auf diese eine -hier vor ihr stand der Mann, der über viele Hunderte seiner Mitmenschen namenloses Elend gebracht hatte; der Mann, der Menschenleben vernichtet hatte, dem die Leiden anderer gleichgültig gewesen waren, der sein Vergnügen auf Kosten gebrochener Herzen gesucht hatte.
Das Teuflische, das in ihm steckte, war auch in ihr. Sie stammten beide aus demselben Geschlecht.
Ein Gedanke durchzuckte sie. Der Haß, der in ihr loderte, hatte ihre Sinne geschärft und ließ sie jetzt deutlich erkennen, was sie bisher nicht gesehen hatte. Sie setzte den Gedanken sofort in die Tat um - sie ging zu ihrem Schreibtisch und öffnete eine Schublade.
Er beobachtete sie einigermaßen belustigt.
Es ist merkwürdig, mit was für großartigen Dingen sich das Gehirn in solchen Augenblicken beschäftigt! Sie überlegte, wieviel die Beschädigung der Wand kosten würde, was der Hotel direktor wohl sagen würde. Aber mochten die Folgen sein, wie sie wollten, ob groß oder klein, sie war entschlossen, sie auf sich zu nehmen.
Sie erkannte Hermann in diesem einen Augenblick, wie sie ihn nie vorher erkannt hatte.
»Wie hoch bewertest du das Leben deines Liebhabers?« fragte er wieder.
»Ich könnte es dir sagen.« Sie nahm etwas aus der Schublade und hantierte damit. Es war ein Revolver.
Er runzelte die Stirn. »Wir werden melodramatisch«, sagte er. Aber kaum war das Wort aus seinem Mund, als sich die Waffe entlud und eine Kugel haarscharf an seinem Kopf vorbeipfiff.
Bleich bis in die Lippen taumelte er zurück.
»Um Gottes willen, was tust du?« keuchte er in jenem schrillen Ton, der immer seine Angst verriet.
Sie lächelte freundlich, wie es Zeberlieff selbst immer in solch kritischen Augenblicken getan hatte.
»Es tut mir so leid. Ich hoffe, ich habe dich nicht verletzt.«
Er starrte sie eine Minute in Todesangst an und ging dann schnell zur Tür.
»Halt!« rief sie.
In ihrer Stimme war etwas, das ihn zwang zu gehorchen.
»Was willst du?« fragte er zitternd.
»Ich will dir nur sagen«, erwiderte sie ruhig, »daß ich dich umbringe, wenn Gordon Bray ein Leid geschieht. Das ist alles. Und jetzt scher dich hinaus!«
Er wartete eine zweite Aufforderung nicht ab und war die Treppe halb hinunter, als der Geschäftsführer in höchster Aufregung nach oben stürzte, um festzustellen, warum geschossen worden war.
Die Aufklärung war einfach; besonders für eine Dame, die als ungeheuer reich bekannt war, und der Geschäftsführer dienerte sich erleichtert hinaus.
Sie nahm aus der Schublade, in die sie den Revolver wieder hineinlegte, ein kleines Etui und öffnete es. Auf der einen Seite war das Bild ihres Vaters, auf der anderen eine Fotografie Gordon Brays.
»Armer Liebling«, sagte sie in einem seltsamen Ton, »du heiratest in eine merkwürdige Familie hinein.«
Kapitel 21
Zeberlieff eilte zitternd in die Park Lane zurück. Noch nie in seinem Leben hatte ihn etwas so mitgenommen wie der Anblick der Revolvermündung, die sich langsam auf ihn richtete. Jetzt fiel ihm ein, daß seine Schwester ausgezeichnet mit Schußwaffen umzugehen wußte.
War der Schuß zufällig fehlgegangen?
Er hätte sich die Mühe des Grübeins ersparen können. Hätte sie die Absicht gehabt, ihn zu erschießen, so wäre er jetzt eine Leiche. Er hatte Furcht vor ihr, sie jagte ihm geradezu Schrecken ein.
Sein einziger Gedanke war, Gordon Bray, der in diesem Augenblick mit Händen und Füßen an einen schweren eichenen Stuhl gefesselt in seinem Weinkeller lag, die Freiheit wiederzugeben.
Auf der Schwelle seines Hauses erwartete ihn Leete. Innerlich verfluchte Hermann ihn zwar, durfte sich aber keine Unhöflichkeit erlauben, denn er brauchte jetzt jeden Freund, den er auftreiben konnte.
»Ich warte seit einer Stunde auf Sie«,
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