0040 - Die Nebelgeister
ihr Herz stillzustehen!
Ein Skelett trat lautlos auf die taunasse Grasfläche und näherte sich der Schülerin.
Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Madeleine, wie sich das Skelett mit normalen Bewegungen immer näher an das Mädchen heranschob.
Jetzt hob die Schülerin den Kopf. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. Im unnatürlich hell glänzenden Mondlicht war jede Gesichtsbewegung deutlich zu erkennen.
Die Schülerin wandte den Kopf, sah das Skelett und verzog den Mund zu einem Lächeln. Es schien Madeleine, als ob sie niemals ein solches Glück in einem menschlichen Gesicht gesehen hatte.
Das Skelett streckte eine Hand vor. Verlangend bewegten sich die Knochen auf das Mädchen zu.
Langsam hob die Schülerin die Hand und griff nach den Knochenfingern. Sie machte einen Schritt und stand neben den Gebeinen.
Die andere Hand des Skelettes griff nach dem Nachthemd und riss den dünnen Stoff mit einer Bewegung vom Körper der Schülerin.
Nackt stand das Mädchen im Mondlicht. Die leeren Augenhöhlen des Totenschädels schienen den Körper eingehend zu mustern.
Schließlich nickte der Schädel und das Skelett zog die junge Schülerin mit sich.
Lautlos verschwanden Mädchen und Skelett zwischen den Büschen.
Hinter den Sträuchern führte ein Pfad weiter in den Wald hinein.
Die junge Lehrerin zögerte einen Moment, betrat dann jedoch den Weg und folgte ihm.
Nach etwa zehn Minuten hatte Madeleine eine große Lichtung erreicht, die von halb verfallenen Mauern beherrscht wurde.
Einige Räume schienen noch intakt zu sein. Auch hier herrschte gespenstische Stille.
Ein bläulicher Lichtschein flackerte auf und verschwand nach einigen Sekunden wieder.
Tapfer ging die junge Lehrerin in diese Richtung, konnte jedoch nach wenigen Metern nicht weiterkommen. Alles war durch zusammengefallene Mauern versperrt.
Eine Weile irrte Madeleine noch durch die Ruinen, konnte aber nichts finden. Schließlich schlug sie resignierend den Rückweg ein.
Auf der kleinen Lichtung überlegte sie, ob sie das Nachthemd des Mädchens wieder zurücklegen oder mitnehmen sollte.
Sie entschied sich schließlich dafür, es mitzunehmen.
Die Pforte für das Personal war immer noch offen.
Madeleine Rimbaud betrat das Internat und versperrte die Tür hinter sich. Ungesehen erreichte sie ihr Zimmer und warf sich in einen Sessel.
Dann sprang sie wieder auf, öffnete das Fenster und hörte, dass die Nacht mit all den üblichen Geräuschen wieder eingesetzt hatte.
Als sie auf die Uhr schaute, war es einige Minuten nach eins.
Mit zitternden Fingern zündete sich die junge Französin eine Zigarette an und rauchte.
Als sie ihre Nerven wieder beruhigt hatte, legte sie sich auf das Bett und dachte nach. Sie konnte sich nicht entscheiden. Einerseits müsste ein solcher Vorfall der Schulleitung gemeldet werden. Andererseits konnte es genauso gut sein, dass sie nur Halluzinationen gehabt hatte.
Sie beschloss abzuwarten und schlief ein.
***
Am nächsten Morgen fiel ihr Blick zuerst auf das Nachthemd, das sie über den kleinen Tisch geworfen hatte. Nachdenklich betrachtete Madeleine das Kleidungsstück und zog sich anschließend selbst an.
Als sie im Frühstückszimmer erschien, waren fast alle anderen Kollegen bereits erschienen.
»Das war vielleicht eine Nacht«, sagte ein jüngerer Engländer.
»Ja, ich habe auch sehr schlecht geschlafen«, bestätigte die Frau, die hier in den hauswirtschaftlichen Fächern unterrichtete.
»Und wie hat unserer neuen Kollegin die Nacht gefallen?«, fragte der Direktor, Dr. Ben Johnson.
Madeleine überlegte und sagte dann: »Ich bin durch etwas geweckt worden. Dann sah ich jemanden in den Wald laufen und ging hinterher. Merkwürdigerweise war die Seitentür unverschlossen. Auf einer Lichtung im Wald fand ich ein Nachthemd. Es liegt auf meinem Zimmer.«
Ungläubig musterten die anderen Lehrkräfte die junge Französin.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der Direktor. Seine Augen waren seltsam stumpf geworden.
»Ich meine, dass eine unserer Schülerinnen heute Nacht verloren gegangen ist, es sei denn, sie lief später nackt wieder hierher zurück.«
Der Unglaube verwandelte sich in Spott. Schließlich lachten die anderen Lehrkräfte laut.
»Nehmen Sie uns das nicht übel«, sagte der junge Engländer, »aber hier haben wir fast alle bereits Dinge gesehen, die es eigentlich gar nicht geben kann.«
Verschwörerisch beugte er sich zu Madeleine und flüsterte: »Unser Direktor ist eine Kapazität auf dem
Weitere Kostenlose Bücher