0041 - Das Amulett des Sonnengottes
vor seine Augen. Er neigte den Kopf schief, als lausche er auf eine Stimme, die nur er hörte.
Zuletzt nickte er und verstaute das Amulett wieder in seinem Versteck.
»Ich habe verstanden«, murmelte er. »Ich werde deinen Befehl ausführen, Gott der Sonne!«
Über die Ausfahrtsrampe verließ er die Tiefgarage. Niemand sah ihn weggehen.
Suko betrat eine öffentliche Telefonzelle und rief Jane Collins an.
»Nein, John ist schon wieder weg«, antwortete sie, als der Chinese sich nach seinem Freund erkundigte. »Er hat einen dringenden Fall in der Lombard Street.«
Wortlos hängte Suko auf und machte sich auf den Weg. Er mußte sofort in die Lombard Street und John beschatten.
So lautete der Befehl des Sonnengottes.
***
Die Gerichtsmedizin ist nicht mein Fall, war es noch nie. An diesem prachtvollen Sommertag empfand ich die bedrückende Stimmung in den kalten, gekachelten Räumen, die so abweisend wirkten, doppelt.
An meiner frostigen Stimmung konnte auch Dr. Atchison, einer unserer Pathologen, nichts ändern, als er mir mit einem strahlenden Lächeln entgegenkam.
»Sinclair, das ist aber schön, daß Sie mich wieder einmal besuchen!« rief er. Seine Stimme hallte von den Kachelwänden hohl zurück. »Das ist Dr. Kaper. Einsame Spitze auf unserem Gebiet.«
Ich begrüßte seinen Begleiter, einen älteren Mann mit dem verknitterten Gesicht einer geschrumpften Kartoffel. Ich hatte ihn schon ein paarmal bei anderen Gelegenheiten gesehen, aber noch nie mit ihm gesprochen.
Dr. Atchison war in Fahrt. Er ließ niemanden zu Wort kommen. »Ich hatte Dr. Kaper aber gar nicht gebraucht, um die Todesursache bei Mr. Callanian festzustellen, Sinclair! Das hätte sogar ein Medizinstudent im ersten Semester geschafft.«
»Sie machen mich neugierig, Doc«, sagte ich lächelnd. Ich hielt Atchisons Behauptung für eine glatte Übertreibung. »Woran ist er denn gestorben?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Atchison. »Es gibt keine medizinische Erklärung.«
Bestimmt machte ich in diesem Moment kein sehr geistreiches Gesicht. Ich wurde ärgerlich.
»Hören Sie, Doc! Ich habe nicht soviel Zeit! Außerdem ist heute mein dienstfreier Sonntag. Also sprechen Sie nicht in Rätseln! Haben Sie nun die Todesursache herausgefunden oder nicht?«
Ehe Atchison in seinen wirren Erklärungen fortfahren konnte, trat Dr. Kaper einen Schritt vor. Er sprach leise und kultiviert. Bei ihm merkte man sofort an seiner entschiedenen Art, daß er sich seiner Sache sehr sicher war.
»Mr. Sinclair! Dr. Atchison meint, daß jeder Pathologe, auch ein Anfänger, sofort die offensichtliche Todesursache erkennt. Es ist aber völlig unmöglich, die Ursache für diese Todesart festzustellen.«
Meine Geduld neigte sich gefährlich dem Ende zu. »Wollen Sie endlich mit der Sprache heraus?« fragte ich gereizt.
Dr. Kaper räusperte sich und suchte nach Worten.
»Der Tote hat kein Herz mehr«, sagte er mit belegter Stimme.
***
Ich starrte den Pathologen entgeistert an. »Sagen Sie das noch einmal!« verlangte ich. »Heute ist doch nicht der erste April, oder?«
»Es stimmt, Sinclair!« Dr. Atchison nickte mit Nachdruck. »An der Stelle, an der das Herz sein sollte, ist nichts. Absolut nichts. Aber fragen Sie uns nicht, wieso das Herz fehlt. Es gibt keine Wunde. Niemand hat Callanian operiert, bevor wir ihn auf den Tisch bekommen haben.«
Dann mußte es ja wohl stimmen. Zwei Spezialisten bestätigten es.
»Daher hat also Dr. Zeffian keine Herzschläge bei Callanian feststellen können«, murmelte ich und hatte eine Idee. »Kann mir einer der Gentlemen erklären, wie ein Mann ohne Herz leben kann?«
Sofort schüttelten beide die Köpfe.
»Ausgeschlossen!« behauptete Dr. Kaper, und Atchison stimmte ihm zu. »Obwohl ich vor wenigen Stunden auch noch behauptet hätte, es könnte keine Leiche ohne Herz geben«, schränkte Kaper ein. »Ich glaube, ich sollte mit meinen Urteilen vorsichtiger sein.«
»Sinclair, Sie sind am Zug.« Atchison deutete auf den Toten, der noch auf dem Tisch lag. »Wir haben die augenscheinliche Todesursache festgestellt. Mehr können wir nicht sagen. Tut uns leid.«
Ich warf einen knappen Blick auf die Leiche, nickte den beiden Pathologen zu und verließ das Gerichtsmedizinische Institut.
Ich war so in Gedanken versunken, daß ich nicht auf meine Umgebung achtete. Ich ging zu meinem Wagen und sah nur flüchtig auf. Für einen Moment glaubte ich, Suko auf der anderen Straßenseite zu erkennen, doch dann war der Mann im Strom der
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