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0041 - Die Treppe ins Nichts

0041 - Die Treppe ins Nichts

Titel: 0041 - Die Treppe ins Nichts
Autoren: Franc Helgath
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wach.
    »Absondern?«, fragte er zurück. Mit seinem Kinn deutete er zu den Büchern hinüber.
    »Die europäischen Philosophen mag ich nicht so gern. Und wenn man erst einmal die fernöstlichen gelesen hat, gibt die Welt einem Mann wie mir nicht mehr viel ab. Ich bin ganz zufrieden so, wie ich lebe. Ich habe keine Bedürfnisse mehr. Wenn Sie wollen – ich bin sogar glücklich. Aber um das zu erfahren sind Sie sicher nicht gekommen. Ich weiß immer noch nicht Ihren Namen.«
    »Ja, ich kam noch nicht dazu. Zamorra heiße ich, Professor Zamorra.«
    War da wirklich ein Aufflackern in den dunklen Augen? Doch die dünnen, weißen Lider senkten sich darüber.
    »Zamorra«, sagte Vincente dann schließlich so langsam, als wollte er den Namen auf der Zunge zergehen lassen.
    »Sie kennen mich?«
    »Das kann ich nicht behaupten, aber ich habe schon von Ihnen gehört.«
    Zamorra fiel von einer Überraschung in die andere. Und schon die nächsten Worte des Einarmigen bescherten ihm eine weitere.
    »Sie sind wegen des Bäckers aus Frankreich hier, nicht wahr?«
    Zamorra gab es auf, darüber nachzugrübeln, woher Vincente sein Wissen hatte. »Deshalb bin ich tatsächlich gekommen«, sagte er.
    »Sie brauchen sich nicht zu wundern«, meinte Vincente. »Ich habe nur zufällig einige Aufsätze von Ihnen gelesen. Ich lese überhaupt alles, was mir in die Finger fällt. Und ich glaube, mein Gedächtnis ist ziemlich gut. Und da Sie Okkultist sind, können Sie nur in dieser Eigenschaft gekommen sein. Das Verschwinden des Bäckers war tatsächlich ein wenig rätselhaft. Ich nehme an, Sie haben auch schon etwas von der weißen Burg und seinem ehemaligen Bewohner gehört.«
    »Jaime y Ronza di Saratoga, ja. Es ist ein toter Name, nicht? Die Leute hier sprechen ihn nicht aus.«
    Der Einarmige nickte nur. »Die Leute sind dumm«, stellte er fest.
    »Sie lesen nicht. Die Welt des Geistes ist ihnen verschlossen.«
    Er sagte das mit einer Überheblichkeit, die in einer Verbitterung fußen musste. Vincente war vielleicht nicht im landläufigen Sinne verrückt, auch hätten Psychologen ihn nicht für schizophren erklärt, doch normal war er sicher auch nicht zu nennen.
    Vincente war vielleicht ein Mann auf der Flucht. Auf der Flucht vor dem Leben, das ihm übel mitgespielt hatte. Zamorra war diesem Menschentypus nicht das erste Mal begegnet. Ein Hauch von Wahnsinn lag immer um sie, und er umgab sie wie eine unsichtbare Aura.
    Wenn Zamorra mehr von ihm erfahren wollte, dann musste er ihm Recht geben. »Die Leute sind wirklich nicht sehr gebildet hier«, gab er zu. »Sie haben heute noch vor einem Mann Angst, der schon fünfhundert Jahre tot ist. Was denken Sie darüber? Ihre Meinung würde mich interessieren.«
    »Don Jaime y Ronza di Saratoga«, murmelte Vincente. »Es ist sehr lange her. Das mit den toten Namen ist natürlich Unsinn. Doch dass sie Grund haben, vor diesem Mann immer noch Angst zu haben, glaube ich ganz fest.«
    »Tatsächlich?«
    Der Einarmige schaute ihn missbilligend an. »Verschaukeln Sie mich nicht, Professor. Ich weiß ziemlich genau, was Sie denken. Sie halten mich auch auf irgendeine Art und Weise für verrückt. Schweigen Sie! Ich seh’s in Ihren Augen. Wenn ich Ihnen trotzdem helfe, dann nur, damit ich diesem alten Trottel eins auswischen kann.«
    Zamorra glaubte in die Erde versinken zu müssen. Zu ungeheuerlich war, was er hier zu hören bekam.
    »Sie sprechen vom Henker der Inquisition?«
    »Von wem sonst sollte ich sprechen?«, schnarrte der Einarmige ihn an.
    »Sie sprechen von ihm, als würden Sie ihn kennen«, warf Zamorra verdutzt ein.
    »Aber sicher kenne ich ihn.« Mit zwei, drei Schritten war der verrückte Vincente bei seinem Bücherregal und holte einen Band heraus. Unbeholfen blätterte er mit dem Daumen darin, während seine Finger den Rücken des Buches festzuhalten trachteten.
    »Sie haben doch auch Lao-Tse gelesen. Dann wissen Sie auch, was er über mediale Vergeistigung schreibt. Über Astralwanderungen, über die Reise zwischen den Welten. Lao-Tse ist nur zu falschen Schlussfolgerungen gekommen. Sein Taoismus, seine Lehre vom Ursprung des Alls, strotzt vor Fehlern. Aber seine Anleitungen, durch Versenkung und Tiefenmeditation mit anderen Wesenheiten in Kontakt zu treten, sind sehr brauchbar. Ich habe jahrelang damit experimentiert. Auf diesen Gedankenstreifzügen bin ich auch auf den Geist von Jaime y Ronza di Saratoga gestoßen. Ihm verdanke ich, dass ich jetzt keinen Arm mehr habe. Er wollte mich
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