0041 - Die Treppe ins Nichts
Engländer angekommen, die sich sofort über die billigen, spanischen Schnäpse hermachten.
Es ging ziemlich laut zu bei ihnen.
Zamorra hatte sich dagegen in einem Nebenzimmer niedergelassen und Hirschragout mit Preiselbeeren bestellt.
»Monsieur Michelin hätte dem Esplanada ruhig drei Sterne geben können«, meinte sie, als sie ihren Mund mit der Serviette abtupfte.
»Ich habe nicht erwartet, dass man hier so gut isst.«
Auch Professor Zamorra schob die Teller von sich und nippte an einem leichten Rosewein. »In der Tat«, gab er zu. »Die Küche hier ist unerwartet gut. Auch über das Zimmer kann ich mich nicht beklagen. Es ist einfach, aber sehr sauber. Ich glaube, es ist nur recht und billig, wenn wir unser Urteil über die spanische Hotellerie etwas revidieren.«
Zamorra erhob sich. »Gehen wir noch ein wenig hinaus, die Nacht ist klar.«
»Gerne«, antwortete Nicole. Sie faltete die weiße Stola auseinander, die sie mit heruntergebracht hatte.
Zamorra legte sie ihr um die wohl gerundeten Schultern. Sie hatten vor, noch ein wenig auf die Terrasse hinauszugehen, eine Zigarette zu rauchen und die Straße zu beobachten.
Doch daraus wurde nichts. Kaum hatte sich Nicole gezeigt, wurde die Straße belebter, als sie es jemals vorher gewesen war. Aus den Ecken drängten junge und ältere Männer, und sie starrten ungeniert zu dem Mädchen herüber.
Zamorras Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Schnell huschten sie wieder ins Hotel und nahmen schließlich an einem kleinen runden Tisch im Garten Platz.
Auch hier waren sie nicht vollkommen ungestört. Ein paar Tische weiter legten sich die Engländer einige weitere Promille zu.
»Mich wundert nur, dass sie nicht sofort ›vivat‹ geschrien haben«, meinte Zamorra schmunzelnd und nahm damit auf die Eckensteher auf der Straße Bezug. »Seit der Hinrichtung von Jaime y Ronza vor fünfhundert Jahren scheint hier nichts von Bedeutung mehr passiert zu sein. Offensichtlich bist du die größte Attraktion seit jenen Tagen, an denen der Marktplatz den Henker und sein Opfer verschlungen hat.«
Nicole schmollte. »Das sollst du nicht sagen, Chef. Aber, sollte ich mich in Lumpen kleiden, um die Leute hier vor spätpubertären Regungen zu bewahren?«
Professor Zamorra schaute wohlgefällig an seiner Sekretärin hinunter. »Natürlich nicht, Nicole, nur – es missfällt mir ein wenig, dass wir auf diese Art und Weise so viel Aufsehen erregen. Du weißt, dass ich lieber aus dem Verborgenen heraus arbeite.«
Zamorra wollte weiterreden, doch er wurde unterbrochen. Der Ober, der sie am Abend bedient hatte, kam auf ihren Tisch zu.
Er war ein gut aussehender Mann, Mitte dreißig und trug jetzt Zivilkleidung. Vermutlich hatte er Feierabend. »Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen«, fragte er, und als Nicole verwundert nickte, fügte er hinzu: »Sie müssen meinen Landsleuten schon verzeihen. Ich habe den Auflauf draußen bemerkt. Aber Sie sind wirklich sehr, sehr schön, Señorita.«
Nicole genoss das Kompliment sichtlich. Sie warf ihrem Brötchengeber einen koketten Blick zu, der so viel besagen sollte wie: Siehst du, die Leute hier wissen nicht nur meine Qualitäten als Sekretärin zu würdigen. Doch sie sagte etwas anderes.
»Nehmen Sie doch bitte Platz, Señor. Gefällt es Ihnen hier? Sie haben sich eine hübsche Arbeitsstelle ausgesucht.«
Der Ober setzte sich. Er trug einen weißen Smoking, der wirkte, als wäre er ihm auf den Leib geschneidert worden.
»Ich habe mir den Arbeitsplatz nicht ausgesucht«, erklärte er. »Das Esplanada gehört zum Teil auch mir. Ich habe die Hälfte geerbt, als ich noch ein ganz kleiner Junge war.«
Professor Zamorra horchte auf. »Dann wohnen Sie schon länger hier in Ainsa?«
Der Ober wandte sich dem Professor zu. »Si, seit rund fünfundzwanzig Jahren. Weshalb fragen Sie?«
»Es interessiert mich«, antwortete Zamorra.
»Oh, entschuldigen Sie«, fuhr da der Spanier wieder vom Tisch hoch. »Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Rigo Velasques. Wenn Sie jemals irgendwelche Sonderwünsche haben sollten, ich werde sie Ihnen erfüllen.«
»Nehmen Sie doch wieder Platz, Señor«, sagte Zamorra. »Einen kleinen Sonderwunsch hätte ich allerdings.«
Rigo Velasques setzte sich und zog die Augenbrauen hoch.
»Kennen Sie Vincente?«, fragte Zamorra.
Rigo Velasques verbarg seine Überraschung nicht. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. »Was hat ein Mann wie Sie mit einem Kerl wie Vincente zu tun«, sagte er
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