0042 - Der Totenbeschwörer
er aus diesem Gefängnis wieder heraus?
Er dachte an die beiden Scotland-Yard-Leute. Lester wußte nicht, daß Bill Conolly kein Polizeibeamter war.
Aber die waren weit weg und konnten ihm nicht helfen.
Es mußte jemand sein, der sich im Haus aufhielt.
Jill?
Nein, die kam nicht dafür in Frage. Er wußte auch nicht, was mit ihr war, ob seine Frau sich nicht auch an Jill herangemacht und sie befreit hatte.
Es war alles so furchtbar kompliziert.
Lester vergrub sein Gesicht in beide Hände. Und da hatte er die Idee.
Die Jungen!
Gaylord und Michael. Sie mußten ihm helfen. Gaylord war neun, Michael elf Jahre alt.
Sie waren seine einzige Hoffnung.
Wie hatte seine Frau noch gesagt? Die Kinder hielten sich in ihren Zimmern auf. Es gab jedesmal Schwierigkeiten, sie ins Bett zu bekommen. Die beiden wollten abends immer lange aufbleiben.
Hoffentlich hatten sie es sich heute nicht anders überlegt.
Lester Hanson ging zur Tür. Tief holte er Luft. Und dann begann er mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft um Hilfe zu schreien…
***
Wir warteten noch.
Die Zehnergruppe löste sich auf. Jeder ging zu einem anderen Grab.
Schweigend aber zielstrebig.
Einige Personen wurden von der Dunkelheit verschluckt. Die Gräber, die sie besuchen wollten, lagen weiter entfernt. Nur das Säuseln des Nachtwindes und die Schritte der Menschen waren zu hören.
»Wir müssen jeden dieser Dorfbewohner bewußtlos schlagen«, erklärte ich Bill noch einmal. »Sie dürfen erst gar nicht dazu kommen, die Nachzehrer aus ihren Gräbern zu holen.« Ich schaute ihn an und sah sein Gesicht als hellen Fleck dicht vor mir. »Schaffst du das?«
»Ja.«
»Okay, dann los!«
Mein Freund nickte. Zusammen mit mir schob er sich aus der Deckung. Wir liefen geduckt und versuchten so wenig Geräusche wie möglich zu machen.
Es war eine fast unlösbare Aufgabe. Wenn man uns zu früh bemerkte, ging der ganze Plan schief.
Das Gräberfeld, das die Menschen besucht hatten, war ziemlich groß. Die einzelnen Grabstätten lagen weit verstreut. Wollten wir effektiv »arbeiten«, mußten wir uns trennen.
Die erste Gestalt tauchte vor uns auf. Wir sahen ihren Bücken. Es war ein Mann. Leicht gebückt stand er vor dem Grab und stieß Worte aus, die ich nicht verstand.
Ich zeigte auf mich.
Bill Conolly verstand und nickte.
Unhörbar pirschte ich mich an den Mann heran. Meine Blicke waren überall, auch rechts und links. Ich rechnete jeden Augenblick mit einer Gefahr, mit dem Auftauchen von Myxin, dem Magier.
Noch geschah nichts.
Auf halber Strecke zu meinem Ziel vernahm ich die widerlichen Geräusche. Sie drangen aus dem Grab, der Nachzehrer war schon kräftig bei seiner Arbeit.
Sicherlich dauerte es nicht mehr lange, und er verließ seine makabre Wohnung.
Hinter dem Beschwörer richtete ich mich auf.
Er war ahnungslos.
Dann schlug ich zu.
Genau und dosiert. Ich wollte dem Mann nicht mehr Schmerzen bereiten als unbedingt nötig.
Er knickte zusammen und fiel langsam zur Seite. Ich fing ihn auf und legte ihn neben dem Grab zu Boden. Dann schaute ich über die Schulter zurück.
Keiner der anderen hatte etwas bemerkt. Ich gab Bill ein Zeichen. Mein Freund huschte herbei.
»Alles klar, Bill, der erste ist…«
Plötzlich wurden Bills Augen groß. Ich folgte seinem Blick und sah selbst, was mit dem Grab vor uns geschah.
Die Erde bewegte sich!
Der Nachzehrer!
Einige Sekunden hielt ich den Atem an, weil mich die Szene faszinierte und abstieß zugleich. Viele Regisseure haben in ihren Horrorfilmen Bilder dieser Art fantastisch umgesetzt. Doch die Wirklichkeit übertrifft alle Kinoprodukte. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber wenn jemand am eigenen Leib erlebt und zusieht, wie diese Toten auferstehen, das ist grauenhaft.
Schon tauchten die Fingerspitzen aus der harten Erde auf. Ich sah die langen Nägel, unter denen der Dreck wie schwarze Halbmonde lag. Die Hand bohrte weiter, drückte die Erde hoch, verschaffte sich Platz.
»Tu was!« zischte Bill Conolly hinter mir. Auch er bekam die Szene mit, da er über meine Schulter schaute.
Bill hatte gut reden. Was sollte ich tun? Sicher, ich konnte den Untoten nicht einfach laufenlassen. Aber nahm ich jetzt die Beretta und erschoß ihn, dann würde der Knall auch die anderen rebellisch machen.
Bill brachte mich auf die richtige Idee. An das Naheliegendste denkt man selbst oft zuletzt.
»Nimm das Kreuz!«
Mein Freund hatte recht.
Der Nachzehrer kroch immer weiter aus dem Grab. Ich sah
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