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0042 - Herr der wilden Wasser

0042 - Herr der wilden Wasser

Titel: 0042 - Herr der wilden Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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gewichen – Schock, Schrecken und Angst hatten das bewirkt, ohne dass ihr Widersacher es merkte. Und er durfte es auch nicht merken! Nicht zu früh! Nicole wusste nicht, was sie tun sollte und konnte, aber sie wusste, dass es ihr, was auch immer es war, nur gelingen konnte, wenn sie den Überraschungseffekt auf ihrer Seite hatte.
    Ihr Herz hämmerte.
    Immer noch sah sie das schreckliche Bild in dem Spiegel dort unten, sah die silbrigen Reflexe über den Kraterrand geistern. Was sollte sie tun? Was? Was? Ihre Astra ziehen, herumwirbeln und schießen? Auf ein Wesen, das kein Mensch war, nicht von dieser Welt?
    Nicole wusste nicht, ob sie in der Lage gewesen wäre, schnell und entschlossen genug zu handeln, wenn irgendein Gangster sie bedroht hätte – und daran, dass der Griff zur Waffe jetzt und hier sinnlos war, zweifelte sie keine Sekunde.
    Oder?
    Der Gedanke an die silbernen Kugeln setzte sich in ihr fest. Sie würde den Unheimlichen nicht ins Herz treffen, aber vielleicht verwunden, schwächen, verwirren. Konnte sie ihn mit den silbernen Kugeln bedrohen und ihn zwingen, seinen schrecklichen Zauber zurückzunehmen? Ihr Herz hämmerte, Schweiß brach ihr aus. Aber sie wusste, dass es die einzige Chance war, die einzige Chance für Zamorra, Bill und sie selbst, und sie war entschlossen, das Äußerste zu versuchen.
    »Komm«, sagte die dunkle, seltsam monotone Stimme des Alten hinter ihr.
    Nicole schloss die Augen.
    Die Astra befand sich in der rechten Tasche ihres Parka. Langsam, mit gespannten Muskeln, richtete die junge Frau sich auf. Sie versuchte dabei, die mechanischen, hölzernen Bewegungen einer Marionette nachzuahmen, sie wandte sich immer noch langsam um – und mitten in der Drehung fuhr ihre Hand in die Tasche.
    Mit einem Ruck zog sie die Astra.
    Ihre Finger zitterten wie Espenlaub, aber sie schaffte es, den kleinen Sicherungsflügel mit dem Daumennagel umzulegen, während sie vollends herumschwang. Schwer atmend starrte sie den Alten an, und die vibrierende Mündung der Waffe zielte auf seine Herzgegend.
    »Es sind Silberkugeln«, brachte sie heraus. »Ich kann dich damit töten! Ich kann…«
    Der Weißbärtige lächelte.
    Nicht das geringste Zeichen von Erschrecken lag in seiner Haltung. Sein Blick traf Nicole. Sie fühlte diesen Blick wie eine Sonde, sie sah die eiskalten, wie Kristallkugeln glänzenden Augen – und erinnerte sich mit jähem Entsetzen daran, dass die Augen des Alten schon einmal von ihrem Geist Besitz ergriffen und ihren Willen gelähmt hatten.
    »Nein«, flüsterte sie. »Nein…«
    Sie wollte den Kopf senken, doch irgendetwas schien sie zu hindern. Die Anstrengung trieb Schweiß auf ihre Stirn. Sie dachte an Zamorra. An Bill. An die tödliche Gefahr, in der die beiden schwebten. Angst umkrallte ihr Herz, verzweifelt bäumte sich ihr Wille auf gegen das Verhängnis – und sie löste den Blick von den unheimlichen, hypnotischen Augen, als zerreiße sie mit fast übermenschlicher Kraft eine Fessel.
    Die Waffe in ihren Händen zitterte. Sie starrte auf die Brust des Alten, auf die Stelle, wo sein Herz schlagen musste, falls er etwas wie ein Herz überhaupt besaß. Er konnte ihr nichts anhaben, solange sie nicht gezwungen war, seinem Blick zu begegnen. Sie brauchte ihm nicht in die Augen sehen, um ihn zu beobachten, sie würde rechtzeitig merken, wenn er sie angreifen wollte, sie…
    Zu spät begriff sie, dass sie sich irrte. Die Handbewegung des Alten entging ihr. Der lange Stab zischte durch die Luft. Hart traf er Nicoles Rechte, fegte ihr die kleine Pistole aus den Fingern, und im nächsten Moment schnellte der Weißbärtige mit einem gellenden, dämonischen Kichern auf sein Opfer zu. Nicole wich zurück. Es war ein Reflex, eine blinde, unkontrollierbare Reaktion ihrer aufgepeitschten Nerven. Sie sah nur den Angreifer. Spürte die unaussprechliche Drohung, die von seinen Augen ausging. Zwei unsichere, taumelnde Schritte machte sie rückwärts, sah noch, wie der Alte den Mund öffnete, als wolle er ihr etwas zurufen – und dann verlor sie jählings den Boden unter den Füßen.
    Sie spürte, dass sie fiel.
    Alles drehte sich um sie. Der Schrei, den ihr Hirn formen wollte, kam nicht mehr aus ihrer zugeschnürten Kehle. Schwarzer Basalt war vor ihren aufgerissenen Augen, ein huschender Schimmer, die Erinnerung an glühende, brodelnde Lava in einem Krater. Zwei endlose, qualvolle Sekunden dauerte ihr Sturz, und all ihr Denken und Fühlen erstarrte in der Gewissheit, dass dies das Ende

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