0047 - Der Alptraum-Garten
die Hände frei und meine Beretta bei mir gehabt, dann hätte ich die Nachbildung in Stücke geschossen. Aber leider war ich gefesselt, und meine Pistole besaß der Alte.
Dann verstummte das Skelett, die Augen lagen wieder ruhig in den Höhlen.
»Hast du alles verstanden, Sinclair?« zischte Lydia La Grange. Sie duzte mich jetzt, hatte ihr ladylikes Benehmen abgelegt.
»Sicher, er hat laut und deutlich genug gesprochen.«
»Dann weißt du auch, daß ich nicht übertrieben habe.«
»Darf ich fragen, was Sie mit mir vorhaben?«
»Ja, ich werde dich laufen lassen.«
Als ich überrascht die Augenbrauen hob, fing sie an zu kichern. »Nicht so, wie du denkst, Sinclair. Du erhältst in den nächsten Minuten von mir deine Freiheit. Ich persönlich werde dir sogar die Tür aufhalten, so daß du in den Garten laufen kannst. Dann kannst du versuchen, von der Insel zu fliehen.«
»Wie schön. Und die Steinfiguren?«
»Sind deine Gegner.«
Das hatte ich geahnt. Wie sagte die Frau noch? Bisher hat noch nie jemand lebend die Insel verlassen, wenn sie es nicht wollte. Und ob ich der erste war, konnte ich mir nur schwer vorstellen.
Sie fuhr fort. »Da ist allerdings noch etwas. Wenn ich dich laufen lasse, bleiben deine Hände gefesselt. Dies nur zur Information. Schaffst du es, die Fesseln zu lösen, um so besser für dich. Wenn nicht, hast du Pech gehabt.«
Sie war wie so viele meiner Gegner. Maßlos in ihrer Selbstüberschätzung. Das kam allerdings zwangsläufig, wenn man so etwas wie Macht besaß.
»Hast du noch eine Frage?«
Ich kam nicht dazu, sie zu stellen, denn ohne anzuklopfen wurde die Tür aufgerissen und Jean, der Diener, stürzte in den Raum.
»Madame!« rief er. »Madame!«
Unwirsch wandte Lydia La Grange den Kopf. »Was ist denn? Du weißt doch, daß ich nicht gestört werden will.«
»Aber es ist wichtig.«
»Dann rede!«
»Ein Schiff, Madame – es ist vom anderen Ufer ausgelaufen und nähert sich der Insel…«
***
Ich triumphierte innerlich, ließ mir jedoch nichts anmerken.
Meine Freunde hatten mich also nicht im Stich gelassen. Ich konnte mich auf Suko, Bill Conolly und auf Tom Jeffers verlassen. Und plötzlich klebte ein Lächeln in meinen Mundwinkeln, ich sagte jedoch nichts.
Die Augen der Frau schienen Blitze zu sprühen. Wut entstellte auf einmal ihr Gesicht. Sie ging vor, packte den Alten am Revers und schüttelte ihn durch.
»Du hast genau gesehen, daß sie kommen?«
»Ja, Madame, ich war oben am Ausguck. Und es ist das Schiff, mit dem auch die beiden Schnüffler zur Insel gefahren sind. Ein blaues Boot.«
Die Frau ließ den Diener los. Auf der Stelle kreiselte sie herum, während Jean ängstlich einige Schritte zurückwich.
Erst jetzt sagte ich etwas. »Pech für Sie, Madame. Ich habe mich immer rückversichert.«
Sie stieß ein Lachen aus, das schon mehr einem Knurren glich. »Keine Angst, Sinclair, auch ich habe meine Trümpfe noch längst nicht ausgespielt.« Dann wandte sie sich an ihren Lakaien. »Bring ihn nach draußen, er soll unsere Freunde kennen lernen.«
Der Alte nickte und zog meine Beretta. Die Mündung zielte auf mich. Hatte ich den Knaben bisher nicht für ernst genommen, so revidierte ich nun meine Meinung, denn Jean hielt wie ein Profi genau den Abstand, der nötig war, um keinen Überraschungsangriff zuzulassen. Die Frau öffnete die Tür.
»Verlassen Sie das Zimmer!«
Ich ging. Jean verfolgte mit Argusaugen jede meiner Bewegungen. Die Mündung zielte jeweils auf meine Körpermitte.
»Einen von uns hast du umbringen können!« zischte die Frau haßerfüllt. »Es wird der erste und der letzte gewesen sein, das schwöre ich dir, Sinclair!«
»Abwarten«, entgegnete ich gelassen. Ich hoffte, mich so lange halten zu können, bis meine Freunde eintrafen. Und sie hatten sicherlich die entsprechenden Waffen an Bord.
Der Wind fuhr in die Halle und bewegte die Kerzenflammen, als Madame die Tür öffnete, dann zurücktrat und Platz schuf, damit ich nach draußen gehen konnte. Langsam ging ich über die Schwelle, nahm die erste Stufe, die zweite, und auf der dritten erreichte mich La Granges Ruf.
»Sinclair!«
Ich wandte mich halb um, sah ihr Gesicht und wußte genau, daß meine Rechnung noch eine Unbekannte enthielt.
Und die spielte sie voll aus.
»Ich habe doch von einem Trumpf gesprochen, Sinclair, den ich noch in der Hinterhand habe. So einfach ist es gar nicht, die Insel anzulaufen. Der Schwarze Tod hat mir einen Wächter geschickt. Du kennst sicherlich
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