0047 - Der Alptraum-Garten
bleiben.
Der Alte starrte mich an. »Spiel hier nicht den Kranken!« zischte er.
Ich atmete tief durch. Danach ging es mir besser. Dann mußte ich auf das Haus zugehen.
Vor der untersten Stufe der Treppe blieb ich stehen, nicht weil der Alte dies befahl, sondern weil die Tür geöffnet wurde.
Der rechte Flügel schwang zurück.
Auf der Schwelle stand eine Frau.
Lydia La Grange!
***
Die Frau und ich standen rechts und links der Treppe getrennt. Wir starrten uns an. Sekundenlang…
Und jeder wußte plötzlich, was er von dem anderen zu halten hatte. Wir waren Feinde, Todfeinde sogar…
Ich spürte fast körperlich den Hass und die Abneigung, die mir von dieser Person entgegenströmten. Unwillkürlich ging ich einen Schritt vor, wollte etwas sagen, doch da hob Lydia La Grange die Hand. »Ich weiß, wer Sie sind, Monsieur. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, meinen Garten zu zerstören. Nicht wahr?«
Ich erwiderte nichts.
»Kommen Sie zu mir.«
Als ich mich nicht rührte, stieß mich Jean an. »Geh schon!« zischte er. »Man läßt Madame nicht warten.«
Ich schritt die Treppe hoch. Sechs breite Steinstufen brachten mich in die Nähe der Frau.
Sie trat zurück, gab mir den Weg ins Haus frei und sagte: »Bitte, treten Sie näher.« Ich schritt an ihr vorbei und betrat eine große Halle, in der einige Kerzen brannten und flackerndes Licht verstreuten. Der große Kamin unter der Dreiergruppe gewaltiger Bilder war erloschen.
Kalt war es in dem Saal.
Der Alte schloß die Tür.
»Brauchen Sie mich noch?« fragte er seine Herrin.
»Nein, du kannst gehen. Ich will mit unserem Gast allein reden!«
»Aber er ist gefährlich.«
Lydia La Grange lachte spöttisch. »Na und? Glaubst du, ich werde mit ihm nicht fertig? Es haben schon andere versucht, mich zu übertölpeln. Nein, nein, er gehört mir.«
»Sehr wohl, Madame.« Der Diener verschwand.
Lydia La Grange wandte sich mir wieder zu. Sie selbst wirkte wie ein Denkmal, und ich hatte das Gefühl, daß in der Brust dieser Frau ebenfalls ein Herz aus Stein schlug. »Sie werden verstehen, daß ich Ihnen aus Gründen der eigenen Sicherheit die Handfesseln nicht abnehmen kann, Monsieur. Aber ich bin sicher, daß wir uns dennoch prächtig unterhalten.«
»Das hängt vom Thema ab«, erwiderte ich.
»Es wird Sie interessieren.«
Lydia La Grange lächelte wissend und etwas in sich gekehrt, als sie auf eine Tür am Ostflügel der Halle zuschritt. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Monsieur Sinclair.«
»Woher wissen Sie meinen Namen?«
Die Frau öffnete die Tür, blieb stehen und schaute mir entgegen, während ich auf sie zuschritt. »Ich weiß einiges, Monsieur Sinclair. Das sollte Ihnen vorerst als Antwort genügen.«
»Wie Sie meinen.« Ich schritt an ihr vorbei.
Wir durchquerten ein leer stehendes Zimmer, in dem die Fenster verhängt waren, und betraten dann einen Raum, den sich die Frau als Arbeitszimmer eingerichtet hatte.
Es war zur Hälfte eine Werkstatt und zur Hälfte eine Bibliothek. Die Werkstatt fesselte meine Aufmerksamkeit. Ich sah mehrere Töpferscheiben, lange Steinbänke und einen in der Wand eingelassenen Brennofen. Die Werkstatt ließ sich von der Bibliothek durch eine Schiebetür abtrennen.
Auf den Steinbänken standen Figuren, manche waren nur halbfertig.
Meist waren es Köpfe, die Lydia La Grange mit geschickten Händen geformt hatte. Und sie waren so echt modelliert, daß man als unvoreingenommener Betrachter das Gefühl haben konnte, sie würden tatsächlich leben und wären aus Fleisch und Blut. Lydia La Grange war eine wirkliche Künstlerin.
»Kompliment, Madame«, sagte ich. »Ihre Arbeiten sind in der Tat außergewöhnlich.«
»Ja, das sind sie.«
Unter Komplexen litt die Frau gerade nicht, das hatte sie mir mit ihrer Antwort bewiesen.
Die La Grange trat dicht an die Steinbank heran und strich mit ihren Fingerkuppen über die Bildhauerarbeiten. Ein mit brennenden Kerzen bestücktes, von der Decke hängendes Wagenrad warf seinen Schatten über sie, und der Kerzenschein überflutete ihr Haar mit einem goldgelben Schimmer.
Ich dachte über Lydia La Grange nach. Was war sie für eine Person? Eine Hexe? Eine Teufelin? Eine Dämonin?
Wahrscheinlich alles drei, aber in erster Linie war sie ein Mensch. Einer, der sich dem Bösen verschrieben hatte und voll hinter seinem Entschluß stand.
»Was bezwecken Sie mit all diesen Dingen?« Meine Frage unterbrach das Schweigen.
Sie ließ ihre Hände sinken und antwortete: »Ich habe
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