005 - Gekauftes Glück
solle, hatte Brett die Anweisung erteilt, sie in Ravensford Hall festzuhalten. Warum hatte er das getan? Viel wichtiger war jetzt jedoch, warum dieser Umstand ihn besorgt stimmte, seit er von ihrer Flucht erfahren hatte. Miss St. Clair bedeutete ihm doch weniger als nichts. Trotzdem kreuzte der Gedanke seinen Sinn, sie zu finden und zurückzuholen, und sofort fühlte er den Drang, diesen Einfall in die Tat umzusetzen. „Henry, kannst du mir noch mehr Einzelheiten über Miss St. Clairs ... hm ... Entkommen berichten?"
„Ja, Euer Gnaden. Sie hat die junge schwarze Stute gestohlen, die Sie letztes Jahr aus Irland mitgebracht haben."
„Benshee?"
„Ja", sagte Henry mit müdem Grinsen. „Entweder ist Miss St. Clair von allen guten Geistern verlassen, oder sie versteht sehr viel von Pferden."
„Aber Benshee ist noch nicht ganz an den Sattel gewöhnt!"
Henrys Grinsen wurde breiter. „Miss St. Clair hat keinen Sattel genommen, Euer Gnaden."
Brett stöhnte auf. „Willst du damit sagen, daß sie auf dem Rücken eines halbzugerittenen Pferdes verschwunden ist?"
„Ja, Euer Gnaden."
Plötzlich nahmen Bretts Gedanken einen anderen Weg. Bis jetzt hatte er nur daran gedacht, ein Spielzeug - ein Ausdruck, von dem es ihm nicht schwerfiel, ihn auf das Mädchen anzuwenden - wiederzubekommen. Doch nun begann er ganz unerwartet, sich weitere Probleme auszumalen, die mit der Sicherheit der Kleinen zu tun hatten.
Es war eine Sache, sich in der Theorie vorzustellen, daß Miss St. Clair vor ihm davongelaufen war, doch eine ganz andere, daran zu denken, daß sie, blutend und mit gebrochenen Knochen, irgendwo in einem Graben lag, weil sie von einem halbwilden Pferd abgeworfen worden war. Sofort war er zum Handeln bereit.
„Henry", sagte er, „erweise mir einen kleinen Gefallen, ehe du dich zur wohlverdienten Ruhe begibst."
„Ja, Euer Gnaden."
„Schick Higgins zu mir, und richte ihm aus, er solle sich beeilen."
Während Henry dem Befehl nachkam, überlegte Brett sich sein weiteres Handeln.
Soweit er sich die Dinge hatte zusammenreimen können, war Miss St. Clair in einem erstklassigen Bordell hier in London gefunden worden. Wahrscheinlich konnte Mr. Adams ihm in dieser Sache weiterhelfen. Brett ging davon aus, daß sie in das Freudenhaus zurückgekehrt war. Das heißt, falls sie es wirklich geschafft hatte, London zu erreichen.
Kaum eine Stunde später war Brett im Besitz einer hastig geschriebenen Nachricht von Robert Adams, den Higgins in dessen Wohnung in St. James angetroffen hatte.
Da er feststellte, daß die Wegbeschreibung des Anwaltes nach Hampton House nur eine kurze Fahrt nötig machte, befahl er, den Landauer vorzufahren, und lenkte selbst das Gespann.
Ashleigh nahm die letzte ihr verbliebene Kraft zusammen, rutschte vom Rücken der schweißbedeckten Stute und begann, die bis Hampton House noch verbleibenden hundert Schritte durch St. James zu gehen. Sie nutzte die Entfernung, damit das Pferd sich abkühlen und sie vor der Ankunft die Gedanken ordnen konnte. Sie stand im Begriff, zu einer ungewissen Zukunft zurückzukehren, in dem einzigen Haus, das sie ihr Heim nennen konnte, ohne Arbeit, geschändet und vollkommen verschmutzt.
Was sollte sie in Hampton House sagen, sobald sie dort war? Daß sie auf einen teuflischen Verrückten gestoßen war, der sie ohne jeden Grund brutal mißbraucht hatte? Daß irgend jemand einen schrecklichen Fehler gemacht hatte, der sie die Jungfräulichkeit gekostet und ihr viel zusätzliches Elend eingetragen hatte? Daß sie von einem Herzog, der mittlerweile tot war, angeheuert worden war, und der, welcher dessen Stelle eingenommen hatte, gewollt hatte, daß sie ihm Dienste ganz anderer Art leiste?
Mit großer Willenskraft hielt sie die Tränen zurück, die ihr in die Augen getreten waren, reckte entschlossen das Kinn und dachte daran, daß Megan ihren Mut loben und die von ihr gemachten Erfahrungen vielleicht sogar billigen würde. Ja, Megan war diejenige, der sie sich anvertrauen wollte. Megan würde wissen, was zu tun sei, und ihr sagen, was sie von all dem, was geschehen war, zu halten habe.
Tief durchatmend beschleunigte Ashleigh den Schritt und führte das Pferd in den Schatten eines in der Nähe befindlichen Gebäudes. Plötzlich sah sie eine große, stattliche Kutsche vor Madames Etablissement halten. Sie legte der Stute die Hand über die Nüstern, um sie daran zu hindern, die anderen beiden Pferde durch Schnauben zu begrüßen, und wartete, während zwei elegant
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