005 - Gekauftes Glück
wieder auf Ashleigh.
Ashleigh bemerkte, daß die Frau eine mit Sahne gefüllte Untertasse in den zitternden Händen hielt. Eine genauere Musterung des kleinen, plumpen Gesichtes zeigte, daß es über der Oberlippe einen weißen „Schnurrbart" hatte. Lächelnd schüttelte Ashleigh den Kopf. „Nein, wenn Sie das nicht wollen." Sie machte einen Schritt voran und streckte die Hand aus. „Ich bin Ashleigh St. Clair. Ich bin die Gastgeberin Seiner Gnaden und auch sein Mündel."
Die grauen Locken wippten erneut, doch ihre Besitzerin machte keine Anstalten, die sahnegefüllte Untertasse abzustellen. „Ja ... ja, St. Clair. Oh, ja! Ich habe alles über Sie gehört! David hat es mir erzählt." Plötzlich wurden die haselnußbraunen Augen größer. „Oh, aber, meine Liebe! Sie müssen von hier verschwinden, sofort! Wissen Sie, man wird Ihnen nie erlauben zu bleiben." Wieder ein gehetzter Blick zur Küchentür. „Wenn man ihnen widerspricht, gibt es nur Ärger. Ja ... ich weiß alles über den Ärger, den sie Ihnen machen kann."
„Ärger? Und wer ist sie?"
„Verstehen Sie, Elizabeth kann Sie nicht ausstehen. Oh, das wissen Sie bestimmt schon. Und sie ..." Ein Flackern erschien in den haselnußbraunen Augen, die gleich darauf einen leeren Ausdruck hatten.
„Lady Elizabeth!" rief Ashleigh aus. „Ich ... verstehe. Oh, aber hören Sie, Madam, ich denke nicht ... oh, ich kenne nicht einmal Ihren Namen."
„Mein Name ... oh, ja, natürlich. Wie albern von mir! Ich bin Lady Hastings. Sie dürfen mich jedoch Jane nennen. Jeder tut das."
„Lady Hastings! Dann sind Sie ja Lady Elizabeths Großmutter!"
Der Hauch eines Lächelns huschte über das Gesicht der Alten. „Das hat man mir gesagt", murmelte sie.
Ihre Worte waren etwas rätselhaft, und Ashleigh wollte sich soeben nach der Bedeutung erkundigen, als die zur Küche führende Tür jäh aufflog und eine hochgewachsene Gestalt in Schwarz in die Kammer kam.
„Da bist du ja, Jane!" rief Lady Margaret aus. „Ich hätte mir denken können, das du wieder bei der Schlagsahne steckst! Schäme dich! Nun komm mit mir, oder ich bin gezwungen, dich ..." Lady Margarets harter Blick fiel auf Miss St. Clair. „Und was machen Sie hier, Miss?"
„Nun, ich wollte ..."
„Ihre Zofe sucht Sie bereits seit geraumer Zeit. Ich schlage vor, daß Sie zu ihr gehen."
Margaret wandte sich wieder an Lady Hastings. „Und was dich betrifft, meine ich, es sei höchste Zeit, daß du dein Schläfchen machst. Du weißt, du kannst nicht den ganzen Nachmittag darauf verzichten. Fehlender Schlaf verschlimmert dein Benehmen. Und der Diebstahl der Sahne beweist das!"
Mit rascher Geste griff Margaret nach der Untertasse, die Jane in den Händen hielt, doch die kleine Frau hatte es geahnt und versuchte zu verhindern, daß man ihr das Tellerchen wegnahm, indem sie zurückwich und es gleichzeitig mit einem halb furchtsamen, halb trotzigen Ausdruck in den Augen an den Mund hob.
„Oh, nein, meine Liebe!" Margarets Worte hatten schneidend geklungen, während sie rasch die Lücke zwischen sich und Lady Hastings geschlossen und die Alte erschreckt hatte. Im Bruchteil einer Sekunde fiel die Untertasse zu Boden, und Sahnespritzer und Porzellansplitter flogen in alle Richtungen auf die Fliesen.
„Nun sieh dir an, was du getan hast, du dummes Geschöpf!" empörte sich Margaret.
„Hast du immer noch nicht gelernt, daß du dich nicht gegen die, welche es besser wissen als du, auflehnen darfst?"
Jane Hastings ließ den Kopf hängen, vollkommen eingeschüchtert durch Lady Margarets scharfen Ton, ganz zu schweigen von deren, wie Ashleigh fand, mißbilligenden Blick. Dann hob Jane leise schluchzend ein Stück den Kopf und murmelte: „Ja, ja, Margaret."
„Sehr gut, und mm achte darauf, daß du meine Ermahnung nicht so schnell vergißt.
Und nun komm mit!" Margaret wich dem Durcheinander auf dem Fußboden aus und krallte die knochige Hand um Janes Handgelenk. Dann blickte sie, als sei ihr in letzter Sekunde etwas eingefallen, Miss St. Clair an. „Sie lassen jemanden herkommen, der dieses Chaos behebt, Miss St. Clair!"
Ashleigh sah ihr und der von ihr aus der Kammer geführten Lady Hastings nach. Sie empfand eine jähe Aufwallung von Mitleid, als sie die rundliche Frau in dem taubengrauen Kleid einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Schlagsahnelachen werfen sah, ehe sie von Lady Margaret brüsk außer Sicht gezogen wurde.
In dem einfachen, auf dem einstigen Familiensitz der St. Clairs gelegenen
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