0050 - Der Stein des Satans
körperlich zu spüren, wie die Aura des Fremden, Bedrohlichen um sie zurückwich.
Neben Alban de Bayard schritt er über den Strand auf den Waldsaum zu, aus dessen Schatten fremdartige Blüten leuchteten.
Ein leises Singen hing in der Luft. Gestalten huschten, unruhig wisperten Stimmen. Waren das Feen, deren Gewänder nebelgleich durch das Dickicht wehten und verschwanden, ehe der Blick sie fassen konnte? Bewegten sich Schatten über das sprudelnde Wasser zwischen den Felsen – oder badeten Quellennymphen? Gras raschelte im Wind wie Harfenklänge, Musik erhob sich, die tief aus dem Berg zu kommen schien. Selbst Alban verharrte einen Moment, neigte den Kopf und lauschte.
»Merlins Reich ist erwacht«, sagte er leise. »Verlassen kann er es nicht, denn er ist Avalons Hüter. Doch er ist auch Avalons Herrscher: Was immer geschieht – hier in Merlins Reich wird das Amulett nicht versagen…«
Zamorra nickte nur.
Wie im Traum ging er weiter, folgte dem Weg durch die Felsen, bis vor ihm jäh der Höhleneingang klaffte, den er schon kannte. Ein steinerner Bogen überspannte ihn, der Gang dahinter lag in geheimnisvoll phosphoreszierendem Schimmer. Der Kreuzritter ging voran. Immer tiefer führte der Tunnel mit den glimmernden Wänden in den Berg hinein. Merlins Berg? Jenes geheimnisvolle Felsenschloss, in dem immer noch die Geister von Toten den verschollenen Gral hüteten? Zamorra wusste es nicht – und genau wie damals bei seinem ersten Besuch auf Avalon schien ihm der Weg kein Ende zu nehmen, bis sich plötzlich die Grotte mit der sprechenden Quelle vor ihm öffnete.
Felsen wie schwarzer Marmor.
Schwarz wie die Felsen das Wasser, dessen glatter Spiegel nichts von der unergründlichen Tiefe verriet…
Ganz langsam, wie ein Schlafwandler beugte Zamorra sich nieder, löste das Amulett von seinem Hals, berührte vorsichtig mit dem Talisman das dunkle Wasser – und vor seinen Augen setzte die Verwandlung ein, die er schon, einmal erlebt hatte.
Das Amulett strahlte auf.
Wie eine Wolke umfloss das silberne Leuchten den Talisman, breitete sich aus, verwandelte die dunkle Wasserfläche in einen glänzenden Spiegel. Einen Spiegel, der nicht die Gesichter derer zurückwarf, die hineinblickten! Ein dunkles Oval tauchte auf. Schlohweißes Haar, ein lang wallender Bart, wie aus Baumrinde geschnitzte Züge mit Augen, die dem Grau des Meeres glichen. Merlins Gesicht war es – und Merlins dunkle, raunende Stimme: »Trinkt das Wasser der Quelle! Zu den Kreuzfahrern wollt ihr, ins Land der Kalifen, und ich werde euch sicher geleiten. Mein Reich kann ich nicht verlassen, so wenig wie Alban es kann. Wenn du in jener anderen Zeit die Schwelle zur Wirklichkeit überschreitest, Zamorra, wirst du allein sein, denn nur dem Teufel verschworene Dämonen vermögen ihrer Dimension zu entfliehen. Meine guten Wünsche begleiten dich, Meister des Übersinnlichen! Zu helfen vermag ich dir nicht in deinem Kampf, aber ein letztes Geschenk kann ich dir machen, das an deinem Ziel auf dich wartet. Nachtwind ist es. Der Rappe, auf dem Merlin einst an der Seite König Arthurs ritt…«
Die Stimme verklang.
Immer noch strahlte das Wasser der Quelle in reinem Silberglanz, als habe es sie nie gegeben. Zamorra atmete tief und blickte zu Alban hinüber.
Der Kreuzfahrer lächelte.
»Trinken wir«, sagte er ruhig. »Beginnen wir die Reise! Das Amulett, das Schwert des Feuers und Merlins Rappe – wer wäre besser gerüstet?«
Ruhig beugte er sich nieder, schöpfte Wasser in der hohlen Hand und führte es an die Lippen.
Und auch diesmal folgte Zamorra schweigend seinem Beispiel…
***
Flammen loderten in den Himmel. Voller Entsetzen trug der Schrei aus vielen Kehlen herüber: ein Wort, das Bill und Nicole nicht verstanden, weil sie die Sprache nicht kannten, und doch wussten sie, dass es »Feuer« beißen musste. Der Palast des Kalifen brannte.
Rauch wälzte sich durch Arkaden und marmorgepflasterte Höfe.
Schon drohte der Brand auf die Hauptgebäude überzuspringen, und mit dem Mut der Verzweiflung hielten die Fliehenden inne und stürzten zum Palast zurück, um zu versuchen, ihn vor den Flammen zu retten.
Mit wehenden weißen Mänteln jagten die Kreuzfahrer durch das bogenüberspannte Tor.
Leonardo ritt an der Spitze. Etwas funkelte in seiner Rechten – ein Kleinod, das seine Faust wie eine Kralle umspannte. Hinten am Kürisssattel, auf dem schimmernden Gelieger, das die Kruppe seines Schimmels schützte, hatte er die kleine schwarze
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