Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0051 - Das Schiff der toten Seelen

0051 - Das Schiff der toten Seelen

Titel: 0051 - Das Schiff der toten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
Vom Netzwerk:
leichtfüßig, grazil und offenbar als einzige ohne Furcht. Genau wie die anderen Frauen trug sie den üblichen Schleier. Lediglich ihre Augen waren zu sehen, große, dunkle Glutaugen unter dichten Wimpern, und in ihrem Blick lag ein ernstes Lächeln.
    »Ich bin Atme«, sagte sie schlicht. »Mein Bruder wird leben, ihr habt ihn gerettet. Unser Haus ist das eure. Verfügt über uns!«
    »Wir danken euch«, sagte Zamorra ruhig. »Aber wir müssen zum Meer. Und dort werden wir ein Boot brauchen.«
    Das Mädchen neigte den Kopf. Ihre Stimme klang hell und klar wie eine Glocke.
    »Ihr werdet zum Meer kommen, Herr, mein Großvater und ich, wir führen euch nach Abu Iman. Dort lebt meines Vaters Bruder, er ist Fischer, und er wird glücklich sein, euch helfen zu können…«
    ***
    Unsichtbar war die Hand des Schicksals, die die Wege der herumirrenden Menschen in dem heißen, gnadenlosen Land zeichnete.
    Im Norden, auf den Hügeln vor der Küste, stand ein Derwisch, ein heiliger Mann neben seiner Einsiedlerhütte und betrachtete die Staubwolke in der Ferne. Männer und Pferde! Blutige, staubbedeckte Gestalten, dahinschwankend unter schattenspendenden Schutzdächern aus zerfetzten Zeltplanen, die an Lanzenspitzen befestigt waren. Der Weise schüttelte den Kopf, denn er wußte, daß das geschlagene Heer im Kreis taumelte. Aber der Weise sah mehr als die Wirklichkeit dieses Marsches der Verzweiflung. Er sah die Zukunft.
    Er sah Blut und Tod, hörte Schlachtlärm und Schreie. Grausam hatte Allah die Ungläubigen gestraft, die einst als stolze Armee gekommen waren, um zu nehmen, was ihnen nicht gehörte, um mit dem Schwert die heiligen Stätten zu erstürmen, denen sie sich in Demut hätten nahen sollen. Der Derwisch seufzte. Noch ehe das nächste Mal die Sonne aufging, würde die Vernichtung über die Menschen dort drüben kommen. Viele würden sterben. Einige würden leben, würden Hilfe finden und Rettung, würden ihre Heimat wiedersehen. Wie es das Schicksal bestimmte…
    Weit entfernt, vor den weißen Mauern des Kalifenpalastes, entdeckten Krieger, die die Torwächter ablösen wollten, was in der Nacht geschehen war.
    Einer der Verurteilten befreit…
    Die Wächter geflohen.
    Achman selbst trat vor die Mauern hinaus, um das Unglaubliche mit eigenen Augen zu sehen – und der Zorn des Kalifen kannte keine Grenzen.
    Er dachte an den Mann mit dem Amulett.
    An jenen Fremdling, der sich Zamorra nannte und ein großer Magier war, der Panther töten konnte mit einem Feuerstrahl aus seiner Hand, der ihm den »Stern des Morgenlandes« zurückgebracht hatte und der ein Schwert besaß, das den tapfersten Kriegern Kraft und Willen raubte. Er war ein Feind des Propheten. Er mußte zu den Ungläubigen gehören, zu den fremden Eroberern. Achman hatte sie vernichtend geschlagen, hatte den besiegten Rest in die Wüste gejagt – doch jetzt glaubte er zu wissen, daß das alles noch nicht genug gewesen war.
    Sie mußten sterben.
    Alle!
    Bis zum letzten Mann!
    Und während eine Handvoll Verzweifelter immer noch in Hitze und Staub der Wüste den Weg zum Meer suchte, ließ der Kalif bereits in fiebernder Eile zu einem letzten, entscheidenden Rachefeldzug rüsten.
    ***
    Auf der Pirateninsel vor der Küste kauerte Leonardo de Montagne mit den anderen Gefangenen gefesselt in einer Höhle.
    Leonardo, in dessen Körper und Seele der Dämon den Geist Alban de Bayards verbannt hatte.
    Er spürte die fremde Kraft in sich.
    Er spürte, daß etwas Unheimliches mit ihm geschah, daß er dabei war, sich selbst zu verlieren – und die dunkle Furcht, die ihn beherrschte, hatte nichts zu tun mit seiner hoffnungslosen Lage…
    ***
    Abu Iman…
    Ein winziger Hafen, weiße Hütten, zusammengeduckt im Halbrund der Hügel, die sie gegen die Wüste abschirmten. Der Glutball der Sonne neigte sich nach Westen, das Dorf schien aus einem dumpfen Hitzeschlaf zu erwachen. Gestalten bewegten sich in den Gassen. Irgendwo sang eine Stimme in hohen, aufpeitschenden Vierteltönen. Wind kam vom Meer, brachte Frische und Feuchtigkeit, und der opalisierende Perlmuttglanz der Luft, der den Wüstenwanderer mit Trugbildern narrte, begann allmählich zu verblassen.
    Ein kleiner Zug von Kamelen bewegte sich im charakteristischen, eigentümlich majestätischen Schaukelschritt über die holprige Straße. Neugierige Blicke folgten den Besuchern – aber es war nur die Neugier, die man hier jedem Fremden entgegenbrachte. Zamorra und Bill Fleming trugen über ihrer Kleidung weiße Burnusse,

Weitere Kostenlose Bücher