0051 - Das Schiff der toten Seelen
Und auch nicht die Insel, die Freibeuter, den geheimnisvollen Ben Marut.
Die Zinnen von Château Montagne waren es, die vor seinem inneren Auge auftauchten.
Château Montagne in der Gegenwart, im zwanzigsten Jahrhundert.
Wie einen Pesthauch spürte Zamorra die Ausstrahlung des Bösen – und mit tiefem Schrecken wurde ihm bewußt, daß der Dämon, den sie trotz aller Anstrengung noch nicht hatten vernichten können, schon wieder sein Unwesen trieb…
***
Leonardo de Montagne fuhr aus unruhigem Schlummer hoch, als sich der Eingang der Höhle plötzlich verdunkelte.
Zwei Sarazenen traten ein – hagere, drahtige Gestalten mit bunten Tüchern um den Köpfen. Ihr Blick glitt über die vier Gefangenen, dann traten sie auf Leonardo zu und rissen ihn hoch. Fausthiebe trieben ihn vorwärts, er kniff die Lider zusammen vor den schrägen Strahlen der Abendsonne.
Vor ihm fielen die Felsen steil ab, eine schmale Steinrampe führte hinüber zu dem kleinen, geschützten Plateau, auf dem sich Hütten und Zelte drängten. Feuer flackerten. Jemand schlug die Laute, und Stimmen vereinigten sich zu einem wilden, fremdartigen Lied.
Langsam schritt Leonardo vor seinen Bewachern her auf das größte Gebäude zu, mit gefesselten Händen, ohne Helm, Brünne und Waffen, und vor ihm öffnete einer der Piraten die Tür.
Licht fiel durch die schmalen, schießschartenartigen Fenster. Der Raum war streng eingerichtet, fast spartanisch. Nur die kostbaren Teppiche glühten in düsteren, intensiven Farben, und auf einem geschnitzten Stuhl saß ein Mann, der eine schwarze Augenklappe trug und dessen hageres, scharfgeschnittenes Gesicht durch die beiden tiefen Schwertnarben noch wilder wirkte.
Marut.
Ben Marut, der Freibeuter…
Sein gesundes Auge funkelte. Er starrte den Gefangenen an, und sein Blick blieb an dem silbernen Amulett hängen.
»Ich spreche deine Sprache«, sagte er langsam. »Wie heißt du?«
»Leonardo de Montagne…«
»Der Heerführer bist du nicht, aber du führtest den Spähtrupp. Was ist dein Leben wert, Fremder? Glaubst du, daß deine Freunde dich zurückkaufen?«
»Womit?« fragte Leonardo bitter. »Wir sind geschlagen.«
»Ihr schluget euch selbst, als ihr in unser Land brachet. Gerechtigkeit ist geschehen. Und gerecht wird es sein, wenn du deinen Kopf auf dem Block läßt.« Langsam erhob sich der Piratenkapitän und trat auf den Gefangenen zu. Seine Hand schloß sich um das Amulett, mit einem Ruck zerriß er die silberne Kette. »Eine schöne Arbeit«, stellte er fest. »Was ist das?«
Leonardo starte auf den Talisman in Maruts Hand.
Ein jähes Schwindelgefühl ergriff ihn. Tief in ihm schien sich etwas zu verschieben, sein Blick ging durch alles hindurch – und für einen winzigen Moment der Klarheit war nichts mehr in seinem Geist vorhanden als jener andere, fremde Einfluß, den er sich nicht erklären konnte.
Seine Stimme klang leise, tonlos.
»Das Amulett des Merlin« murmelte er. »Geweihtes Silber! Das Amulett, das die letzten Hüter des heiligen Grales trugen, der verschollen ist für immer…«
Er verstummte.
Wie erwachend sah er Ben Marut an. Der Pirat hatte die Stirn gerunzelt.
»Merlin?« echote er. »Geweihtes Silber?«
Leonardos Gedanken überschlugen sich. Hatte er das gesagt? Und wenn – was bedeutete es? Er wußte doch nichts vom Ursprung des Amuletts, hatte es stets für einen heidnischen Talisman gehalten!
Hart preßte er die Lippen zusammen, und nur mühsam gelang es ihm, die Furcht zu beherrschen, die erneut in ihm aufflackerte.
»Ein Geschenk des Kalifen Achman ist es«, sagte er heiser.
»Du lügst! Wie sollte Achman dir, seinem Feind, etwas schenken!«
»Er tat es. Er wollte mich bewegen, eine Geisel zurückzugeben, die ich von seinem Sohn genommen hatte. Silber ist es, und es heißt, daß ihm Zauberkräfte innewohnen.«
»Zauberkräfte? Kannst du das beweisen?«
»Ich kann es nicht. Ich weiß nichts darüber, als daß es vor bösen Geistern und Dämonen schützen soll. Behaltet es! Nehmt es als Preis für unser Leben!«
»Ein zu geringer Preis!« Ben Marut lachte spöttisch. »Glaubst du, ich würde als Bezahlung nehmen, was ich bereits in Händen halte? Mein ist es! Und morgen lasse ich einen deiner Freunde zur Küste bringen, damit er mit eurem Heerführer über Lösegeld verhandelt.«
Mit einer herrischen Geste hob er die Rechte.
Leonardo wollte noch etwas sagen – doch da wurde er bereits gepackt, und wenig später stießen ihn seine Bewacher wieder in die
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