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0051 - Das Schiff der toten Seelen

0051 - Das Schiff der toten Seelen

Titel: 0051 - Das Schiff der toten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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Felswände. Für einen Moment blieb es still. Eine tiefe Stille – wie die nach dem Erwachen, wenn sich der Geist noch traumbefangen aus dem Gespinst einer anderen Welt löst. Leonardo erhob sich, blieb einen Augenblick lang mit hängenden Armen in der Mitte der Grotte stehen, als lausche er der Stimme nach. Mechanisch hob er die Hand und rieb sich über die Augen, und als er sich Zamorra zuwandte, war sein Blick voller quälender Zweifel.
    »Was ist geschehen?« fragte er tonlos. »Für einen Moment kam es mir vor, als werde ich zerrissen, gespalten von einem Schwert.«
    »So war es. Aber das Schwert des Feuers ist eine magische Waffe.«
    Zamorra senkte den Blick auf die Klinge, und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß Alban sie auch jetzt nicht zurückgenommen hatte. »Du lebst, Leonardo. Alban wurde befreit, und der Dämon starb.«
    »Er starb? Er verlor seine Macht?«
    »Er verlor seine Existenz als selbständiges dämonisches Wesen, und er verlor die Macht, jemals auf die Welt zurückzukehren und sich andere Menschen zu unterwerfen. Jetzt unterliegt er den ewigen Gesetzen von Leben und Tod, und lebendig ist nur noch die böse Substanz, aus der er geschaffen wurde.«
    »Lebendig in mir«, murmelte Leonardo. Fast unwillig schüttelte er den Kopf, als Zamorra etwas sagen wollte. »Ich weiß es, ich habe begriffen, was du mir damals prophezeitest. Vielleicht ist es wahr, vielleicht ist mir am Ende die Hölle bestimmt. Aber jetzt und hier habe ich eine andere Bestimmung. Raymond Navarre schwor ich die Treue, und die Treue werde ich ihm halten…«
    Zamorra nickte nur. Auch er hatte verstanden.
    »Wir lassen das Boot in der Bucht«, sagte er ruhig. »Gemeinsam sind wir stark genug, um ein Schiff zu nehmen und die Insel zu verlassen. Unser Ziel ist das gleiche, Leonardo – das Schlachtfeld, auf dem die Kreuzfahrer kämpften. Auf uns warten Alban de Bayard und die Toten – und auf euch die Lebendigen…«
    Ein paar Minuten später waren sie unterwegs.
    Friedlich lag die Insel in der Dunkelheit: Nur noch vereinzelt drangen Stimmen vom Plateau herüber, und der Mond übergoß Felsen und Sand mit seinem fahlen Schleier. Im Meer spiegelten sich als verschwimmende Flecken die Sterne, die am Nachthimmel wie Brillanten auf schwarzem Samt funkelten, und weit im Süden stießen Himmel und Meer in einer dünnen Linie zusammen. Dort irgendwo mußte die Küste liegen, dort war ihr Ziel – und Zamorra preßte die Lippen zusammen beim Gedanken daran, wieviel davon abhing, daß sie es erreichten.
    Sie benutzten die Klamm, die am Eingang der Grotte vorbei bis zum Wasser hinunterführte.
    Der Strand war hier breiter, zog sich im Bogen bis zu dem natürlichen Hafen, den zwei felsige Landzungen begrenzten. Friedlich dümpelten die Schiffe, mit gerefften Segeln und knarrender Takelage. Gab es Wächter? Posten, die die kleine Flotte beobachteten? Zamorra zögerte einen Moment, als er das letzte Steigeisen losließ und in den knirschenden Sand sprang, und gab dann den anderen ein Zeichen, im Schutz der Klamm zu warten.
    Vorsichtig pirschte er sich bis zu den Klippen, die wie die überdimensionale Pranke eines Raubtiers ins Meer vorsprangen. Über den Felsenwall hinweg konnte er die verblüffend verschiedenartigen Schiffe sehen, die Jolle am Strand – und den zur Seeseite offenen Unterstand, in dem das Licht einer Fackel flackerte. Gestalten bewegten sich. Drei? Vier? Zamorra konnte es nicht erkennen, aber er wußte, daß sie nicht ungesehen an ihnen vorbeikommen würden.
    Auf einen Wink lösten sich die anderen aus dem Schatten der Klamm: Nicole und Bill, Leonardo de Montagne, die drei Lothringer, die sich mit Dolchmessern und Säbeln der gebannten Wächter vor der Höhle bewaffnet hatten. In den Augen des jungen Volkhart blitzte es kampflustig, beruhigend legte ihm sein Bruder die Hand auf die Schulter. Zamorra wies nach rechts, die anderen folgten ihm, und erst als sie auf gleicher Höhe mit der Holzhütte waren, verließen sie den Schutz der Felsen.
    Dem Unterstand näherten sie sich von der Rückseite.
    Stimmen waren zu hören, Gelächter, die Geräusche von zu Boden fallenden Holzstäben, die in einem alten Glücksspiel die Würfel ersetzten. Von zwei Seiten, dicht gegen die Holzwände geduckt, näherten sich die Männer dem hellen Viereck. Jemand gähnte hörbar.
    Waffen klirrten, als er die Glieder reckte. Zamorra spähte um die Ecke, nickte der bärtigen Gestalt Richard von Touls zu, der sich auf der anderen Seite des Gebäudes in

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