0051 - Das Schiff der toten Seelen
beschwörende Magie, die nicht beängstigend wirkte, sondern Maruts Geist gefangennahm wie ein geheimnisvoller Zauber.
»Ich – wußte es nicht«, sagte er langsam. »Ich sah nur ein silbernes Schmuckstück und kannte nicht die Bedeutung. Nimm es zurück! Nimm es…«
Ein leichter Luftzug traf sein Gesicht.
Immer noch starrte er das Amulett an – und zuckte zusammen, als es sich plötzlich bewegte, sich von dem niedrigen Tisch erhob und schwebend an der zerrissenen Kette hin und her schwang.
Hell und klar erglänzte das Silber, ein sprühender Schein umgab es, die funkelnden Reflexe ließen tief in Maruts Innerem eine unsichtbare Saite vibrieren. Wie von einer jähen, unerklärlichen Sehnsucht getrieben streckte er die Hand aus – und senkte sie wieder. Ein Schatz war es, der vor seinen Augen langsam durch die Luft entschwebte, ein unermeßlich wertvolles Kleinod. Doch es gehörte ihm nicht, und er fühlte, daß es Unheil bringen würde, seine Finger daran zu legen. Er schauerte. Gebannt folgte sein Blick der silbernen Bahn – und erst an der Tür verharrte der Talisman in der Hand des Unsichtbaren für einen Moment, gleich einem Stern im Halbdunkel.
»Laß meine Freunde ziehen«, klang wieder die Stimme auf. »Halte sie nicht! Verwirre nicht die Fäden des Schicksals mit zuckenden Händen! Bleibe hier, Ben Marut! Laß das Geschick seinen Lauf nehmen! Schlafe…«
»Ich bleibe… schlafe …«, wiederholte der Pirat mechanisch.
Die Tür schwang zurück.
Langsam, vollkommen geräuschlos schloß sie sich wieder. Ben Maruts Blick haftete auf dem dunklen Holz, haftete auf der Stelle, wo noch ein schwacher silberner Widerschein zu leuchten schien, und mit dem nächsten Atemzug überkam ihn eine tiefe, friedvolle, von allen Fragen und Zweifeln befreite Ruhe.
Nur ein Hauch war es, den er von der Sphäre Alban de Bayards verspürt hatte.
Ein Hauch, der genügte, in der düsteren Besessenheit dieser Seele für eine Weile wieder die Sehnsucht nach dem Licht zu erwecken…
***
»Da!« flüsterte Nicole.
Zamorra wandte sich um. Ein silbriger Schimmer füllte den Höhleneingang, das Amulett schien zu schweben. Nichts war zu sehen von Alban de Bayard, nicht einmal das durchsichtige geisterhafte Abbild, und Zamorra begriff, daß der Kreuzfahrer nur noch mit äußerster Anstrengung dem Sog widerstehen konnte, der ihn in seine Dimension zurückzog.
»Das Amulett«, flüsterte eine Stimme so leise wie ein Hauch.
»Freiwillig gab Ben Marut es zurück, und dem Schicksal wird er sich nicht mehr in den Weg stellen. Leonardo – höre mich!«
Der Kreuzritter hob den Kopf.
Eben noch hatte er reglos in dem tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf gelegen – jetzt stand er auf wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen. Starr haftete sein Blick an dem Amulett. Sein Geist war von weither zurückgekommen, die seltsame Entrücktheit seiner Züge verriet, daß er ganz im Banne des Augenblicks stand – und für ein paar Sekunden schien nichts mehr für ihn zu existieren außer jenem Unsichtbaren, der durch die Grotte auf ihn zukam.
Langsam sank Leonardo auf die Knie.
Das Amulett schwebte auf ihn zu, die Kette, wieder zusammengefügt kraft weißer Magie, glitt über seinen geneigten Kopf und schlang sich um seinen Hals. In reinem Silberglanz strahlte der Talisman, sein Licht füllte die Höhle mit unwirklichem Schimmer, und Leonardo verharrte, als lausche er auf eine Melodie, die nur er allein hören konnte.
»Merlins Amulett«, klang die Stimme des Geistes. »Ein Zauberer schmiedete es, Satans eigener Sohn, gezeugt mit einer reinen Jungfrau, um die Welt dem Bösen zu gewinnen. Merlin widerstand… Weiße Magie weihte das Amulett, und es ist bestimmt dazu, dem Bösen zu wehren. Dein ist es! Widerstehe auch du …«
»Ja«, flüsterte Leonardo. »Ja…«
Etwas schien ihn zu berühren, erschauernd schloß er die Augen.
Ganz schwach glänzte ein Schleier im Raum auf – Widerschein der Gestalt im weißen, wehenden Kreuzfahrermantel. Noch einmal verharrte Alban, noch einmal hob er die Stimme, doch die Worte waren nur noch ein leises, verwehendes Raunen: »Ich kann nicht bleiben… Meine Dimension ruft mich zurück, dem Sog muß ich folgen … Um Mitternacht erwarte ich euch auf dem Schlachtfeld, zur Stunde der Geister, zur Stunde der toten Seelen … Um Mitternacht …«
Die Stimme verklang.
Auch das silbrige Leuchten erlosch, schien von der Nacht aufgesogen zu werden, und nur noch der unruhige Fackelschein huschte über die
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