0056 - Das Ungeheuer von Loch Morar
keinerlei Zweifel.
Die Geräusche waren von weiter unten herauf geklungen.
Bobs Augen wurden groß.
Urplötzlich kam ihm der naheliegende Gedanke. Dieses Monster hatte das Girl entführt.
Und wohin?
In sein Element – in den See!
»O Gott, o Gott«, flüsterte Bob McClure. »Das darf nicht geschehen, das darf nicht…«
Er rannte wie noch nie in seinem Leben. Sein Herz hämmerte. Der Atem ging keuchend und flog von seinen Lippen.
Zweige peitschten sein Gesicht, klatschten gegen die Haut und rissen sie auf. Ein verzweifelter Wettlauf mit der Zeit begann. Konnte er dieses Monster noch stoppen?
Ein letzter Sprung noch, er torkelte aus dem Wald, der freie Abhang zur Straße hin. Bob rutschte ihn hinunter, kam auf der Straße auf, wo er sich mehrmals überschlug.
Aber er hatte sich nichts gebrochen, gelangte wieder auf die Füße, taumelte ein paar Schritte weiter, blieb stehen und schaute sich um.
Nichts…
»Marion!«, schluchzte er, holte im nächsten Moment tief Luft und rannte weiter.
Sein Ziel: Der See!
Zum Glück kannte Bob McClure jeden Winkel dieses Ortes. Er fand sich auch in der Dunkelheit zurecht. Bob nahm Wege, die nicht beleuchtet waren. Er sprang über Treppen, lief schmale Gassen entlang und kümmerte sich nicht um die erstaunten Blicke der Menschen, die ihn trafen.
Er musste Marion Mitchell retten!
Bob McClure sprang über ein Geländer auf eine tiefer gelegene Straße. Kopfsteinpflaster bedeckte den Weg. Die Straße führte direkt zum See hinunter. Und Bob rannte.
Seine Füße schlugen auf das Pflaster. Rechts und links standen schmale Häuser. Alte Steinbauten ohne Elektrizität. Der junge Student bewegte sich in der Altstadt von Seaground, er war seinem Ziel nah.
Noch eine Kurve, und er sah die schwarze Fläche des Loch Morar. Aber wo lauerte das Monster?
Bob schaute sich die Augen fast aus dem Kopf, er konnte Dan und Marion nicht entdecken.
Seitenstiche zwangen ihn dazu, langsamer zu laufen. Schon erreichte er die ersten Ausläufer des Strandes. Kies knirschte unter seinen Sohlen.
Bob McClure wandte sich etwas nach rechts. Über den Bergen stand die fahle Sichel des Halbmonds, und es schien, als würde sie mit ihrer unteren Spitze die schroffen Grate der Mountains berühren. Doch für Naturschönheiten hatte Bob keinen Blick.
Er suchte Marion.
Rechts von ihm verlief die Strandpromenade. Dahinter lagen die zahlreichen Pensionen und kleinen Hotels. Und dort irgendwo wohnte auch Bobs neuer Freund Bill Conolly.
Der Student lief weiter.
Ruhig lag der See. Am langen Steg dümpelten einige Segelboote. Ihre kahlen Masten wirkten wie große Streichhölzer. Und dann sah er die Gesuchten. Deutlich hoben sie sich vor dem Mondlicht und dem etwas helleren Strand ab.
Bob glaubte sich in einem Horrorfilm zu befinden. Ein ähnliches Bild hatte er schon mal gesehen.
Dan Dryer trug das Mädchen auf beiden Armen wie Frankenstein seine Opfer. Er war schon dicht am Wasser, das bereits seine Füße umspülte.
Für Bob unmöglich, die beiden noch einzuholen. Trotzdem versuchte er es. »Marion!«, brüllte er, und sein verzweifelter Schrei hallte schaurig durch die Nacht…
***
Mich hatte Bill Conollys Anruf mal wieder zu einem ungünstigen Zeitpunkt erreicht. Ich wollte das Wochenende nutzen, um richtig zu entspannen, hatte all meine Langspielplatten auf dem Boden ausgebreitet und war dabei, sie zu sortieren.
Da lag James Last neben dem Rigoletto-Querschnitt und darüber heiße Beatscheiben. Auch der gute Karajan fehlte mit einem Querschnitt aus der Fledermaus nicht, und die Beatles waren ebenfalls vertreten.
Draußen herrschte ein Frühlingswetter zum Wegwerfen. Der April zeigte sich noch einmal von seiner miesesten Seite. Regen, Schnee, dazwischen mal ein vereinzelter schüchterner Sonnenstrahl, dann wieder der ganze Jammer von vorn.
An Bills Stimme hörte ich, dass der Fall dringend war. Mein Freund machte nicht unnötig die Pferde scheu, und ich wusste, dass oben im westlichen Schottland Arbeit auf mich wartete.
Einer Arbeit bin ich noch nie aus dem Weg gegangen. Vor allen Dingen nicht, wenn es um meine speziellen Freunde, die Dämonen, ging. Aber ich war kein Freiberufler, sondern in einem Beamtenstatus eingezwängt, und ohne Sir Powell, meinen direkten Vorgesetzten, zu fragen, lief nichts.
Also rief ich ihn an.
Dreimal dürfen Sie raten, wo ich ihn erwischte. In seinem Club natürlich.
Er zeigte sich ziemlich ungnädig, als er an den Apparat kam. »Gibt es einen Grund, dass Sie
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