0057 - Finger weg von solchen Sachen
verlange Verstärkung aus anderen Städten.«
»Okay, ich werde es veranlassen. Wann kommst du zurück?«
»Ich werde in einer Stunde ungefähr auf jeden Fall ins Office kommen. Sag in der Kantine Bescheid, sie sollen mir irgend etwas Eßbares und eine große Kanne Kaffee ins Office schicken! Langsam spüre ich, daß heute das Mittagsessen ausgefallen ist.«
»Wird besorgt, Jerry, so long.«
»So long, Phil.«
Ich legte den Hörer auf und drehte mich um. Am Rauchtisch saßen zwei Männer und sahen mich an. Es waren Lieutenant Harper und ein Fremder, den ich nicht kannte, der aber wohl Mr. Leccon war.
»Entschuldigen Sie, daß ich ohne zu fragen Ihr Telefon benutzt habe«, sagte ich und ging zu ihnen. »Ich heiße Jerry Cotton, FBI.«
Der Mann hatte sein Hemd am Kragen aufgerissen, die Krawatte hing ihm unordentlich auf der Brust. Seine Augen hatten einen flackernden Blick, und seine Hände zitterten.
»Schon gut«, murmelte er, »schon gut.«
»Sie sind Mr. Leccon?«
»Ja, der bin ich.«
»Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen…«
Er nickte. In seiner Kehle schien sich etwas anzusammeln, denn er schluckte ein paarmal.
Ich hielt ihm meine Zigarettenpackung hin.
»Ah, ja, das ist ein guter Gedanke«, sagte er leise und bediente sich. Ich schob die Packung weiter zu Harper, der ebenfalls eine nahm, dann steckte ich mir selbst einen Glimmstengel zwischen die Lippen. Harper gab Feuer.
»Es tut mir leid, daß ich ausgerechnet jetzt mit Ihnen sprechen muß, Mr. Leccon«, sagte ich. »Aber Sie werden verstehen, daß Mr. Harper und ich unsere Pflicht tun müssen.«
Leccon nickte dumpf. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und murmelte mit halberstickter Stimme: »Es war — es war nämlich unser einziges — einziges Ki…«
Seine Stimme erstarb in einem hilflosen Schluchzen. Ich biß mir auf die Lippe. Verdammt, wenn man nur wüßte, was in dieser ganzen verzwickten Geschichte eigentlich gespielt wird! Nun stand ich das zweitemal in dieser Sache vor einem Mord, und ich wußte noch immer nichts Handfestes.
Ich stand auf und sah mich um. In einer Ecke entdeckte ich einen Schrank, der meinen Erwartungen entsprach. Ich fand eine Whiskyflasche und mehrere Gläser darin.
Ich kippte für Mr. Leccon ein Wasserglas voll und brachte es ihm. Wortlos drückte ich es ihm in die Hand. Er warf mir einen Blick zu, der mir kalt durch die Brust ging. Ich hatte auf einmal eine ohnmächtige Wut auf die ganze Welt, vielleicht wohl auch auf mich selbst. Wir machen immer schöne Sprüche über diese Welt. Aber sie ist nicht so, wie sie sein sollte. Tausendmal nein, und abermals nein. Draußen lachten die Leute, und hier sitzt ein Vater und kann einfach nicht begreifen, daß seine Tochter, daß dieser junge, lebensbejahende Mensch nun einfach ausgelöscht sein sollte. Es gibt Stunden, da würde mir der beste Whisky nicht schmecken, und dies , war so eine Stunde.
Lecon trank den Whisky in drei großen Zügen. Dann strich er sich über die Stirn und murmelte dumpf: »Entschuldigen Sie, meine Herren, ich werde versuchen, mich jetzt zusammenzureißen.«
»Schon gut, Leccon«, sagte ich. »Wir verstehen Sie doch. Uns ist auch nicht viel besser zumute. Aber es muß sein. Wir müssen ein paar Dinge herausfinden. Wir müssen, verstehen Sie?«
Er nickte.
»Passen Sie auf«, sagte ich. »Wissen Sie genau, ob jemand außer Ihrer Frau hier in der Wohnung war, als… Ich meine — als…«
»…als es passierte?«
»Ja.«
»Ich habe meine Frau nicht danach gefragt. Aber als ich kam, war niemand hier. Und ich glaube auch nicht, daß vorher jemand da war. Meine Frau sagte, Margy hätte im Wohnzimmer am Telefon gesessen. Zweimal hätte sie telefoniert. Beim letztenmal wäre sie so blaß geworden, daß meine Frau sich schon Sorgen um ihre Gesundheit gemacht hatte. Sie ging hinaus und wollte für Margy ein paar Tabletten aus dem Schlafzimmer holen. Als sie zurückkam, stand das Fenster auf, und…«
Er brach wieder ab und schluckte krampfhaft.
Ich kam von dem Gedanken ab, daß das Mädchen vielleicht zum Fenster hinausgestoßen worden sein könnte. Wenn die Frau das Wohnzimmer unmittelbar nach dem zweiten Anruf verlassen hatte, um im Schlafzimmer ein paar Tabletten zu suchen, dann war es mehr als unwahrscheinlich, daß in dieser kurzen Zeit ein Fremder hätte ins Wohnzimmer kommen, ohne Geräusch die grauenhafte Tat ausführen und wieder verschwinden können. Also war es wohl doch ein Selbstmord. Vielleicht aus Kummer darüber,
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