006 - Der Fluch der blutenden Augen
große, schwarze Wunde wirkte.
Larry erkundigte sich kurz entschlossen bei einem Nachbarn des
Schaustellers Turing. Der Mann stand in seinem weitgeöffneten Wohnwagen,
betrachtete sich in einem Spiegel, den er an die Tür gehängt hatte, und
rasierte sich. Die eine Hälfte seines Gesichts war noch dick mit Rasierschaum
bedeckt.
»Tag, Meister«, sagte Larry locker und passte sich der einfachen,
unkomplizierten Sprache der Schausteller an.
»Tag«, knurrte der Angesprochene nur, während er dem Ankömmling aus den
Augenwinkeln heraus einen kurzen, belanglosen Blick zuwarf und sich ungestört
rasierte. Das scharfe Messer kratzte über den starken, schwarzen Bart.
Der Mann war breitschultrig und etwas fett. Er trug nur ein schmuddeliges
Unterhemd und abgetragene Jeans. Der breite Gürtel spannte sich über seinem
vorstehenden Bauch.
»Hat hier gestern Abend nicht noch eine Geisterbahn gestanden?« fragte
Larry, während er interessiert herantrat.
Der Mann im Unterhemd nickte. »Hat«, sagte er nur. Er war nicht
unfreundlich, doch er schien es offenbar gewohnt zu sein, knapp zu sprechen.
Das war schon eher als einsilbig zu bezeichnen.
Man musste ihm jedes Wort aus der Nase ziehen.
»Wissen Sie, wo Mister Turing hingereist ist, Meister?«
»Keine Ahnung.« Er rasierte sich weiter. Ein paar Schaumflocken fielen zur
Erde. Im Hintergrund, im Wohnwagen, plärrte laute Radiomusik. Zwei Knaben, dem
Gesicht nach ganz der Vater, tollten wie die Irren herum. Larry fragte sich,
wie man so viel Krawall und Bewegungsdrang in diesem kleinen Raum aushalten
konnte.
»Wenn Sie etwas gesprächiger würden, Meister, könnte ich mich dazu
entschließen, Ihre Bemühungen dementsprechend zu honorieren.«
Der Schausteller blickte auf den knisternden Geldschein, den Larry seiner
Brieftasche entnahm. »Polizei?« erklang es misstrauisch aus dem Mund des
Mannes. Er wischte mit einem feuchten Tuch, das in einer kleinen
Kunststoffwaschschüssel lag, über sein Gesicht.
Larry schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Warum interessieren Sie sich für Turing?«
»Ich habe eine Verabredung mit ihm und mir schon gedacht, dass er seinen
Laden einpacken und abreisen würde. Aber dass es so schnell ging ...«
»Sie haben gestern Abend, gleich nach Ende der letzten Fahrt, schon mit dem
Abbau begonnen«, sagte der Mann, während er nach dem Schein griff und ihn
achtlos in die Hosentaschen stopfte. »Heute Morgen haben sie die letzten Wagen
fertiggemacht. Um acht Uhr ist Turing losgefahren!«
»Ist es nicht ungewöhnlich, wenn ein Schausteller mitten in der Saison seine
Buden abbricht und einen anderen Ort aufsucht?« wollte Larry wissen.
Der Mann im Unterhemd zuckte die Achseln. »Ungewöhnlich schon, doch. Es
kommt jedenfalls selten vor, um es einmal so zu sagen. Aber in drei Tagen ist
hier sowieso Schluss. Vielleicht hing es mit dem Unfall gestern Abend zusammen.
Ich bin fast sicher, dass es so ist. Turing war ziemlich geknickt, das fiel mir
nachher auf.«
Larry stellte sich ahnungslos. »Welcher Unfall?« Vielleicht erfuhr er auf
diese Weise etwas mehr.
»Eine Inderin hat einen Herzschlag bekommen, während der Fahrt. Heute
Morgen hat es in den ersten Ausgaben der Zeitung gestanden, haben Sie es nicht
gelesen?«
»Nein!«
»Vielleicht fürchtete er, der Publikumsverkehr könne ausbleiben, nachdem
die Zeitungen erst einmal davon geschrieben hatten.«
Larry nickte. Das leuchtete ihm ein, aber die Aussagen des Mannes
befriedigten ihn nicht. Doch er konnte nicht mehr aus ihm herausbringen, der
andere wusste einfach nicht mehr.
Nach zehn Minuten war Larry soweit wie zu Beginn, als er gekommen war. Und
doch glaubte er, eine Gewissheit mehr mitzunehmen, als er in den Jaguar stieg
und langsam anfuhr.
Mr. Turing, der Besitzer der Geisterbahn, hatte einen besonderen Grund
gehabt, seine Zelte auf dem Rummelplatz abzubrechen. Vielleicht fürchtete er,
dass Scotland Yard seine Geisterbahn doch noch einmal genau unter die Lupe
nehmen und die Angelegenheit von letzter Nacht rekonstruieren könne. Dieser
Möglichkeit hatte er vorgebeugt. Spuren waren verwischt, Spuren, die Larry
Brent zu finden gehofft hatte. Es wäre nun keine besondere Schwierigkeit
gewesen, vielleicht doch noch die Fährte von Mister Turing aufzunehmen, wenn er
es darauf angelegt hätte. Die Angelegenheit hätte ihn Zeit gekostet, und
deshalb unterließ er es, für den Moment jedenfalls noch. Er wollte einen
weiteren Schritt in das Dunkel der Geheimnisse tun.
Zielbewusst verließ er
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