006 - Der Fluch der blutenden Augen
vom Haupttor
entfernt stand, löste sich eine dunkle, in einem Trenchcoat steckende Gestalt.
Auf Zehenspitzen huschte der Mann durch den Nebel, über den feuchten, mit
Laub bedeckten Boden.
Er hatte den Amerikaner kommen sehen, er hatte aber auch noch einige andere
Dinge gesehen. Dinge, die Stunden, die Tage zurücklagen. Seit vier Tagen
tauchte er ständig hier auf. Er beobachtete die Menschen, die ein- und
ausgingen. Von Larry Brent wusste dieser Mann nichts, der jetzt geduckt an der
Mauer entlangschlich und hinter den Bäumen und dem Buschwerk, das bis an diese
Mauer heranreichte, verschwand.
Er hieß Colin Grisp. Und er war entschlossen, jetzt, in dieser Stunde, das
Risiko zu wagen. Alles war vorbereitet.
●
Im Haus duftete es nach Weihrauchstäbchen. Auf einem kleinen Holzaltar, der
mit kostbaren Intarsienarbeiten versehen war, stand eine verkleinerte Statue
des Hausgottes Swomi. Er schien aus einem blauen Halbedelstein herausgearbeitet
worden zu sein. Breitbeinig stand er über einer aus massivem Gold bestehenden
Schale, in der mehrere frische Blüten schwammen.
Swomi hielt den geflammten Dolch aus Jade stoßbereit in der Rechten. Sein
Blick war auf den Ankömmling gerichtet. Larry vermutete, dass die
Abwehrbewegung des Hausgottes für die bösen Geister und Dämonen gedacht war,
die die Schwelle des Hauses nicht übertreten sollten.
Eine merkwürdige Welt nahm ihn gefangen. Die Tür schloss sich hinter ihm,
und im gleichen Augenblick schien er sich in einem anderen Land zu befinden. Es
war fast unvorstellbar, dass er sich noch in England aufhielt. Selbst dem Haus
haftete nichts mehr typisch Englisches an. Nicht ein einziges Stück des
sicherlich sehr kostbaren Mobiliars von Lord Kensington war mehr vorhanden.
Der Inder Rasmandah hatte sich in diesen Wänden ein Stück seiner
geheimnisvollen Heimat geschaffen.
Die Wände waren mit Gestalten aus der indischen Mythologie bemalt, große
schwere Seidenvorhänge teilten die Räume. Auf den Fußböden lagen kostbare,
farbenprächtige Teppiche.
Das Innere des geräumigen Hauses erinnerte eher an einen Palast als an ein
englisches Haus aus dem Jahre 1825. Auf vielen Gemälden und kleinen Altären
standen Götzenfiguren. Rasmandah war ein sehr gläubiger Mann.
Der Diener führte den Amerikaner in das Arbeitszimmer des reichen
Kaufmannes. Lautlos öffnete er die breite Tür. Larry Brent trat in den Raum.
Der Diener blieb zurück. Der Raum, der Larry umgab, war ganz in Rot gehalten.
Die Wände, die Decke, selbst die Polster der dunkelbraunen, kostbaren Stühle,
die einen schweren, fast acht Meter langen Afghanteppich flankierten. Am Ende
des Teppichs stand ein breiter, wuchtiger Schreibtisch. Dahinter saß Rasmandah.
Der Inder, im dunklen, eleganten englischen Maßanzug, erhob sich, als sein Gast
eintrat.
»Mister Brent?« Rasmandahs dunkle Stimme erfüllte den Raum, und schon die
beiden Wörter, die aus seinem Mund kamen, konnten eine gewisse Überraschung
kaum verbergen.
Erstaunt registrierte X-RAY-3 diesen Unterton darin, doch er fand zunächst
keine Erklärung dafür.
Der reiche Kaufmann betätigte eine helle Glocke, die auf seinem
Schreibtisch stand, und ein Diener huschte von einem Seiteneingang in das
Zimmer und stellte wortlos ein Tablett mit Getränken auf einen fahrbaren Kupfertisch,
in dessen Platte seltsame Tiere und halbmenschliche Geschöpfe gehämmert waren.
»Sie kommen wegen Hira, sagte man mir.« Rasmandahs Gebaren entsprach nicht
dem eines trauernden Vaters. Er war neugierig und bat seinen Gast, mit ihm zu
trinken. Ein paar exotische Knabbereien standen bereit, die Larry nicht kannte.
Der Amerikaner hatte seine Geschichte schnell erzählt. Er schilderte genau
den Vorfall in der Geisterbahn. »Es geht mir nun darum, herauszufinden, ob Ihre
Tochter wirklich so krank war, wie man mir erzählt hat«, endete Larry. »Es gibt
für mich einige Anhaltspunkte, die mir sagen, dass der Tod Ihrer Tochter
vielleicht absichtlich herbeigeführt wurde.«
Valmiki Rasmandahs Augen verengten sich. Seine Stimme klang heiser, als er
fragte, wie er darauf käme.
»Ich bin an der Aufklärung der Dinge interessiert, Sir«, fuhr Larry fort,
nachdem er dem Inder die Sache mit der Puppe geschildert hatte.
»Ich fürchte, dass ich dadurch in eine Konfliktsituation geraten bin. Haben
Sie den Leichnam Ihrer Tochter untersuchen lassen? Oder bestätigt der ärztliche
Befund nur das Bild, das Sie von Hiras Krankheit hatten? In diesem Fall würde
ich fast
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