006 - Der Fluch der blutenden Augen
Boden.
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Als Larry Brent dem Forscher Henry Waverlean gegenüberstand, verschlug es
seinem Gegenüber zunächst den Atem. Waverlean wohnte in einem Haus, das ehemals
einem indischen Fürsten gehört hatte. Der Engländer war in Larrys Alter, doch
er wirkte älter, als er in Wirklichkeit war.
Henry Waverlean sah blass und krank aus. Seine Lippen waren schmal. Er war
ein Mann, der selten lachte.
»Dann hat mein Kontaktmann doch nicht zu viel versprochen«, sagte er ernst,
nachdem er Larry Brent begrüßt hatte. »Ich kannte Roy Robertson persönlich.
Schließlich haben wir zwei Jahre lang den indischen Kontinent durchreist. Ich
habe manches Abenteuer an Robertsons Seite bestanden.« Seine Stimme klang ein
wenig gepresst. Waverlean ging an der Seite des PSA-Agenten die breiten Stufen
zum ersten Stockwerk hoch. Er ging gebeugt wie ein alter Mann. Sein Atem
rasselte. »Ich bin schwer herzkrank«, sagte er beiläufig, ohne dem Amerikaner
einen Blick zuzuwenden. »Eigentlich dürfte ich um diese Zeit gar nicht mehr auf
sein. Mein Arzt hat es mir strengstens verboten. Aber Sie wissen ja, wie das
ist.«
»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Mister Waverlean«, sagte Larry
leise. »Wie haben Sie es eigentlich herausgefunden, dass Rasmandah ...?«
X-RAY-3 sprach nicht zu Ende.
Mit einer Armbewegung unterbrach Waverlean ihn. »Er ist ein Phantast, ein
gefährlicher allerdings!« Der Engländer wandte sich dem Amerikaner zu, als sie
die oberste Treppenstufe erreicht hatten. Waverlean schüttelte den Kopf. »Ich
kann es immer noch nicht fassen«, sagte er abermals. »Aber die Ähnlichkeit ist
frappierend. Wenn ich nicht wüsste, dass Sie auf keinen Fall Robertson sein
können, ich würde schwören, er stünde vor mir!«
»Und woher wissen Sie, dass ich wirklich nicht – Robertson bin?«
Henry Waverlean verzog kaum eine Miene, als er antwortete. »Roy Robertson
ist tot! Er starb vor zwei Jahren. Im Tempel
der Toten. Eine Felswand brach herunter und begrub ihn. Es war ein Unfall.«
Mit harter Miene wandte er sich ab. Larry folgte ihm. Seine Anwesenheit in
diesem seltsamen und düsteren Haus behagte ihm nicht. Etwas irritierte ihn, und
doch wusste er nicht zu sagen, was es war.
Das Innere des Hauses, in dem der kranke Waverlean lebte, war hauptsächlich
in den Farben Braun und Grün eingerichtet. Jeder auffällige Ton wurde
vermieden. Alles wirkte beruhigend, dämpfend. Auch die Lichter waren nicht zu
hell. Larry vermutete, dass dies mit Waverleans Krankheit zusammenhängen
musste. Die Stille im Haus war bedrückend. Ein Diener huschte unten durch den
Raum, man hörte seine Schritte nicht auf dem schallschluckenden Teppich.
»Außer mir und meinen beiden Dienern – und dem Arzt natürlich, der ständig
in meinem Haus ist – befindet sich sonst niemand hier«, sagte Waverlean
unvermittelt, und es schien, als ob er Larry Brents Blick gedeutet hätte. »Ich
leiste mir den Luxus, einen Privatarzt zu halten. Ich hatte allein letzte Woche
drei schwere Herzanfälle. Sie wollten vorhin etwas über Rasmandah wissen,
leider bin ich davon abgekommen. Ich will es Ihnen sagen: Ich wusste, dass
Rasmandah meinem Freund Robertson auf den Fersen war. Er wollte nicht
wahrhaben, dass Robertson tot ist. Er ließ ihn suchen, überall, wo er ihn
vermutete. Und dann erfuhr ich vor wenigen Tagen, dass er ihn tatsächlich in
London gefunden habe. Ich wusste, dass es ein Unschuldiger war, und ich
beauftragte meinen Kontaktmann, mich auf dem laufenden zu halten. Auf diese
Weise wollte ich Sie vor dem grausigen Schicksal retten. Rasmandah ist
überzeugt davon, dass auf Ihnen der Fluch der Blutenden Augen lastet.«
»Was hat das eigentlich zu bedeuten?«
Henry Waverlean warf ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zu.
»Ich werde Ihnen alles erzählen. Und ich werde Ihnen den größtmöglichen
Schutz bieten, der für Sie im Augenblick wichtig ist. In meinem Haus sind Sie
sicher. Eine Zeitlang hielt Rasmandah es zwar für möglich, dass auch ich der
Besitzer der Blutenden Augen sein
könnte, doch dann entschloss er sich eines anderen. Ich stehe also
gewissermaßen in Ihrer Schuld. Ich fühle mich verpflichtet, Ihr Leben zu
retten. Schließlich war es das Vorgehen meines Freundes Robertson und das meine
– das Sie in diese Schwierigkeiten gebracht hat. Es ist nicht Ihre Schuld, dass
Sie Robertson aufs Haar gleichen. Wir haben den sagenumwobenen Tempel der Toten aufgestöbert und dort –
so glaubt Rasmandah jedenfalls – die
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