006 - Ende eines Quellherren
wir müssen doch träumen können!«, rief Jorella mit wachsender Verzweiflung. »Man kann uns doch nicht die Projektoren abschalten!«
»Das wird in Zukunft noch öfter geschehen.« Behaglich lehnte sich er Techniker auf seinem Stuhl zurück. »Weißt du, dass ich dich den Vorschriften nach melden müsste? Deine Beschwerde ist aus einem egoistischen Motiv heraus erfolgt. Das Konsortium schließt für gewöhnlich derartige Beschwerdeführer von der allgemeinen Versorgung aus. Wenn wir uns nicht schon so lange kennen würden …«
»Welche Bestimmungen?«, fragte Gasakor verwirrt. »Ich bin der Verwaltungsvorsitzende. Ich kenne keinerlei Bestimmungen, die vorschreiben, einen …«
»Dir ist die Lebensnotwendigkeit täglicher Erlebnisse genauso klar wie mir«, unterbrach ihn Labagor und rückte mit Verschwörermiene näher an den Bildschirm heran. »Aber wir können nicht mehr auf die Wünsche eines jeden einzelnen Shans in der Kuppel eingehen. So habe ich vom Konsortium die strikte Anweisung bekommen, die Projektoren nur noch jede zweite Dekade einzuschalten.« Er zuckte die Schultern. »Das Konsortium bestimmt und der Shan einer jeden Kuppel hat das Konsortium gewählt. Es gibt einen alten Spruch: Ein Volk hat immer die Regierung, die es verdient.« Wieder hob er die Schultern. »Seit Jahren sitzen die gleichen alten Männer im Konsortium und bedienen sich selbstherrlich der Computer. Bislang hat noch niemand etwas einzuwenden gehabt. Bislang.«
Irgendwo steckte Sinn hinter den Worten des Illu-Technikers, befand Gasakor. Vielleicht sollte man denen hinter den Computern wirklich einmal zeigen, wer die wirklichen Herren Shans sind , dachte er. Seit Jahrhunderten hatten sie sich nicht mehr darum kümmern müssen, aber jetzt schien es an der Zeit.
»Warum werden überhaupt derartige Maßnahmen ergriffen?«, fragte er.
»Wir müssen Energie für wichtigere Aufgabenbereiche sparen«, meinte Labagor verschwommen. »Doch damit habe ich schon mehr gesagt, als ich eigentlich über das Rundum sagen darf. Ich habe eben ein weiches Herz.« Abrupt schaltete er ab.
Die nun über die Kuppel hereinbrechende Stille war überwältigend. Die kleinen Geräte in Decke und Wänden stellten ihre Funktion allmählich ein und der Wohnblock stumpfte grautönig ab.
Gasakor hatte noch nie ohne Geräusche auskommen müssen. Immer raschelte, knackte, blitzte, kratzte, gluckerte und kreischte etwas um ihn herum, immer hatte es etwas zu hören gegeben, wenn die Illu-Felder einmal kurzzeitig abgeschaltet wurden.
Langsam kroch Furcht in ihm empor. In Jorellas Augen las er, dass es ihr nicht besser erging.
Er blickte sich um. Im fade hereinbrechenden Tageslicht verschwammen die oberen Wandungen der Kuppel in der Dunkelheit. Im Kreis der noch sichtbaren Mauern zwängten sich die abgeschalteten Versorgungssysteme eng aneinander.
»Wir werden sterben«, sagte Jorella hilflos.
»Nicht unbedingt.« Seine Augen suchten nach einem Gegenstand, den er in die Hand nehmen konnte, wenngleich er auch nicht wusste, was er überhaupt damit anfangen sollte. Ein alter, überkommener Instinkt regte sich in ihm. Er war der Mann, er musste die Initiative ergreifen.
Er reckte sich. »Ich habe Macht und Einfluss«, sagte er. »Sie werden es nicht wagen, uns hier zu vergessen und sich selbst da oben die Bäuche voll zu schlagen.« Plötzlich fühlte er sich wie ein geknechteter Revolutionär aus einer Zeit, die er sich irgendwann einmal hatte projizieren lassen.
Verwirrt blickte er sie an; noch verwirrter glaubte er in ihren Augen so etwas wie Bewunderung zu lesen.
Er riss den nutzlosen Steuerstab aus der Wohneinheit. Dann wandte er sich dem Eingang zu und hieb auf die Verriegelung ein, bis sie barst. Schwer atmend taumelte er in den Stationsgang.
Im spärlichen Licht der wenigen noch funktionierenden Deckenleuchten sah er, wie sich die Zugänge der anderen Kuppeln öffneten und ihre Bewohner herausströmten. Ihnen allen war es ähnlich ergangen; man hatte die Projektionen abgestellt, die Nahrung gekürzt und nun auch noch die Energie abgeschaltet.
»Wir werden die da oben vom Sockel stoßen!«, hörte er, wie sein Kuppelnachbar über die Köpfe der Leute hinweg schrie und musste unwillkürlich lächeln. Er hatte sich auch einmal so gefühlt, in einer Projektion, in der er ein Feldherr des barbarischen Interregnums des Zweiten Zeitalters gewesen war.
»Wir sollten das auskosten«, wandte er sich an Jorella. »Das ist doch viel berauschender, viel
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