0066 - Ich folgte dem roten Wagen
Sollte die Polizei aber zu der Überzeugung kommen, Marshall allein stecke hinter den Kindesentführungen, dann würde man natürlich alle weiteren Nachforschungen einstellen, da Marshall ja nun tot war.
Und damit hätte die Kidnapperbande freie Bahn gehabt. Nachdem alle Zeitungen in großer Aufmachung gebracht hatten, dass Aversons Sohn ermordet worden war, würde es kein Elternpaar noch wagen, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen, wenn man ihr Kind entführte. Die Eltern würden schweigen und zahlen.
So ungefähr musste sich ein satanisches Gehirn die Sache ausgedacht haben. Dabei machte es den entscheidenden Fehler aller Leute, die gegen das Gesetz leben: dieses planende Gehirn hielt die Polizei für dümmer als sie ist. Es überschätzte die eigene Klugheit und unterschätzte die Intelligenz des gesamten Polizeiapparates. Ich bin absolut sicher, dass jeder andere FBI-Beamte an meiner Stelle zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen wäre.
Wir sollten glauben, Marshall sei der Schreiber der Briefe?
Wussten die Gangster nicht, dass jede Schreibmaschine andere, eigentümliche Unregelmäßigkeiten des Schriftbildes unter dem Mikroskop aufweist, und dass man anhand dieser Unregelmäßigkeiten genau ermitteln kann, welche Schreibmaschine allein benutzt worden sein kann?
Wir sollten glauben, Hawkins sei selbst ein Erpresster.
Wie konnte er dann wissen, dass wir einen Mann namens Marshall verhaftet hatten, da doch der Name des verhafteten Gangsters streng geheim gehalten worden war. Die Tatsache, dass der Verhaftete Gangster Bill Marshall war, konnten nur die Mitglieder der Kidnapperbande wissen, und wenn Hawkins es wusste, musste er damit selbst zur Bande gehören.
Wie gesagt, ich war auf dem Weg zu Hawkins.
Vielleicht wundern Sie sich, dass ich nicht zur Stadtpolizei fuhr und im Einvernehmen mit den hiesigen FBl-Kollegen eine Großaktion gegen Vera Lees und Ben Hawkins starten ließ. Der Grund für meine Zurückhaltung war sehr einfach: Noch befand sich die kleine Heddy Marshall in den Händen der Gangster, vielleicht sogar noch mehr Kinder, von denen wir nichts wissen konnten, weil die Eltern aus Angst um das Leben ihrer Kinder nicht gewagt hatten, die Polizei zu verständigen. Und wie hatte Mister High kurz vor meiner Abreise gesagt? ›Das Leben des Kindes ist im Entscheidungsfall wichtiger als die Ergreifung des Kidnappers‹. Das verstand sich von selbst und man hatte sich ständig an dieses Prinzip zu erinnern, auch wenn man am liebsten zugeschlagen hätte.
Ich parkte den Wagen wieder ein Stück von Hawkins Wohnblock entfernt und bummelte zu Fuß weiter. Dabei nahm ich mir Zeit und spielte den harmlosen Spaziergänger.
Als ich vor dem Haus angekommen war, in dem Hawkins wohnte, sah ich mich unauffällig, aber sorgfältig nach allen Seiten um. Es war nichts Verdächtiges zu entdecken.
Ich fuhr mit dem Lift hinauf. Gerade als ich an Hawkins Tür angekommen war, hörte ich dahinter Stimmen. Ich wusste noch von meinem ersten Besuch bei Hawkins, nach welcher Seite hin seine Tür aufging und stellte mich so, dass mich die Tür verdecken musste, wenn sie geöffnet wurde.
Ich presste mich möglichst flach an die Wand, als Hawkins die Tür öffnete.
»Also, es bleibt dabei«, sagte Hawkins. »Wir treffen uns in einer Stunde draußen bei dem alten Holzhaus. Du fährst schon vor und erkundest die Gegend. Ich komme später nach.«
»Okay, Chef.«
Diese Stimme kam mir ebenfalls bekannt vor, aber ich wusste im Augenblick nicht, wo ich sie schon gehört hatte. Ich kam auch nicht dazu, darüber nachzudenken, denn Hawkins setzte das Gespräch fort: »Hast du den Wagen unten vor dem Haus stehen?«
»No. Das wird mir zu gefährlich. Es hätte ja sein können, dass dieser verdammte Schnüffler immer noch in der Gegend herumspukt. Ich habe ihn auf dem Parkplatz ein paar Blocks weiter runter abgestellt.«
»Das war vernünftig«, sagte Hawkins. »Also bis nachher!«
»So long, Chef!«
Die Tür wurde geschlossen, und ich sah einen breitschultrigen Mann zum Lift gehen. Ich huschte leise über den zum Glück mit einem weichen Teppich ausgelegten Korridor. Jetzt war meine große Chance gekommen, das fühlte ich.
***
Ich verfolgte den Mann bis zu dem Parkplatz, auf dem auch mein Lincoln stand. Da auf dem großen Platz ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, konnte ich ihm nicht auffallen. Obendrein sorgte ich dafür, dass sich immer ein paar Wagen zwischen ihm und mir befanden.
Er stieg in einen schwarzen
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