0068 - Die Geisternacht
anständiges Gewicht.
»Gut, Bill!«, sagte er. »Abmarsch!«
Der Amerikaner huschte zum Eingang, steckte prüfend den Kopf nach draußen und winkte.
»Kein Aas in Sicht!«, gab er bekannt.
»Dann los!«
Wenig später befanden sie sich wieder in der Felsmulde bei Nicole.
***
Die Abenddämmerung war hereingebrochen. Der Himmel hatte eine tintenblaue Färbung angenommen, die sich nun langsam zum Schwarzen hin verdunkelte.
Es wurde kühl, unangenehm kühl sogar. Insbesondere Bill und Zamorra, die noch immer unbekleidet waren, fühlten sich gar nicht so wohl unter ihrer Gänsehaut. Aber es war natürlich selbstverständlich für sie gewesen, die wärmenden Jaguarfelle Nicole und dem geschundenen Indianer zu überlassen.
Tizoc Pizana, so hieß der Mann, hatte sich bemerkenswert gut erholt. Blut hatte er kaum verloren. Da seine Quälgeister mit glühenden Messern gearbeitet hatten, waren seine Wunden ziemlich schnell verschorft. Ganz klar, dass er noch erhebliche Schmerzen verspürte. Verbrennungen brauchten ihre Zeit, um zu heilen. Aber in jedem Fall war er jetzt wieder in der Lage, sich voll und ganz an den Gesprächen zu beteiligen, die sie miteinander führen mussten.
Mit stockender Stimme erzählte er zuerst seine Leidensgeschichte.
Und die seiner Frau. Seine seelischen Schmerzen waren vielleicht noch größer als die körperlichen. Zamorra, Nicole und Bill hatten vollstes Verständnis dafür. Auch sie hatten noch ständig das Bild der Hingemetzelten vor Augen.
Mit warmen Worten sprachen sie ihm ihr tiefes Beileid aus. Aber er wollte keine Beileidsbekundungen und auch kein Mitgefühl. Er wollte nur eins: Rache!
Rache an den Menschen, die sein Glück zerstört hatten.
»Ich werde alles tun, um es ihnen heimzuzahlen«, quetschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die Heilige Jungfrau von Guadalupe ist meine Zeugin!«
»Beruhigen Sie sich doch, Tizoc«, sagte Zamorra besänftigend.
»Seien Sie sicher, wir stehen ganz auf Ihrer Seite. Bevor wir aber überhaupt etwas unternehmen können, brauchen wir Informationen. Sie können uns dabei helfen.«
»Was soll ich tun?«, fragte Pizana begierig. Wenn man ihm jetzt gesagt hätte, dass er den Tempel der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan stürmen sollte, wäre er wahrscheinlich sofort aufgebrochen, ohne Rücksicht auf seinen geschwächten Körperzustand zu nehmen.
»Beantworten Sie uns einige Fragen, Tizoc. Das heißt natürlich, wenn Sie dazu in der Lage sind.«
»Fragen Sie!«
Der Professor nickte. »Bon! Zuerst eins: Sie sprechen ein perfektes Spanisch. Wie steht es mit den Indianersprachen? Beherrschen Sie Nahuatl?«
Pizana bejahte. »Ich komme aus einem Dorf in der Nähe von Oaxaca. Alle sprechen dort Nahuatl.«
»Ausgezeichnet! Dann haben Sie bestimmt einiges von den Gesprächen der Priester mitbekommen. Wissen Sie, in welchem Jahr wir uns hier befinden?«
»Nein, leider nicht. Ich weiß lediglich, dass die Spanier noch nicht im Land sind. In Tenochtitlan regiert Ahuitzotl.«
Ahuitzotl! Mit dem Namen dieses Aztekenherrschers konnte Zamorra einiges anfangen. Er war der Vorgänger Moctezumas gewesen, jenes Mannes, der das Aztekenreich an Hernando Cortez verloren hatte. Viele Geschichtsschreiber sagten, dass das Aztekenreich nicht untergegangen wäre, wenn statt Moctezuma Ahuitzotl den Kampf gegen die Spanier geführt hätte. Ahuitzotl war ein militärisches Genie vom Range eines Caesar, Alexander oder Napoleon gewesen. Unter seiner Herrschaft hatte das von Tenochtitlan aus beherrschte Gebiet seine größte Ausdehnung gehabt. Dass dieser Mann jetzt hier das Zepter schwang, gefiel ihm gar nicht. Räder und Feuerwaffen in Ahuitzotls Händen… Diesen Gedanken durfte man eigentlich gar nicht zu Ende denken.
Er stellte weitere Fragen an Pizana: »Warum haben die Jünger Tezcatlipocas Sie gefoltert? Soweit ich orientiert bin, gehörte so etwas eigentlich nicht ins Arsenal der Azteken. Menschenopfer, ja! Aber Folterungen?«
Im Gesicht des jungen Indianers zuckte es. »Sie wollten von mir wissen, wie ein Auto funktioniert und wie es kommt, dass das elektrische Licht brennt. Wie gesagt, ich komme vom Land. Meine Schulbildung hält sich in Grenzen. Ich konnte ihnen nicht sagen, was sie wissen wollten. Und deshalb… Sie glaubten, mich mit der Folter zwingen zu können. Aber selbst wenn ich Ingenieur wäre, ich hätte es ihnen nicht gesagt!«
Bestürzt tauschte Zamorra einen schnellen Blick mit Bill Fleming.
»Da haben wir den Salat«, sagte
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